Material für Seifenopern
Von Maximilian Schäffer
Der totalen Karaokeshow aus dem Weg gingen andere Filme über Bob Dylan. Der Jurypräsident der just vergangenen Berlinale, Todd Haynes, zum Beispiel, hatte bereits mit seinem 43minütigen Kurzfilm »Superstar: The Karen Carpenter Story« (1987) und »Velvet Goldmine« (1998; über Glam, David Bowie und Iggy Pop) zwei Zitatpopbiographien auf dem Kerbholz, bevor er sich 2007 mit »I’m Not There« an den heiligsten der Heiligen wagte, ohne auch nur dessen Namen zu erwähnen. Sechs Darsteller (darunter Cate Blanchett, Richard Gere und Ben Whishaw) spielten ihn oder um ihn herum, ohne die Anmaßung, die Figur und den Menschen näher erklären zu wollen. Etwas mehr maßten sich die Brüder Ethan und Joel Coen 2013 an, als sie in »Inside Llewyn Davis« die aufkeimende Folkbewegung in Greenwich Village anhand der Missgeschicke einer an den Bob-Dylan-Mentor Dave Van Ronk angelehnten Figur entfalteten. Inklusive aller möglichen eindeutig-zweideutigen Anspielungen auf das eine weit über die Szene hinausreichendes Genie und dessen Irrungen und Wendungen mit Frauen und Gitarren.
Regisseur James Mangold hingegen traut sich mit »Like A Complete Unknown« tatsächlich an die Disney-Version eines Biopics. Eine selbstbewusste Verklärung. Und nimmt sich folgerichtig dafür Hollywoods derzeit großspurigsten Spätknaben zur Hand – Timothée Chalamet darf sich als ganz junger Robert Allen Zimmerman gerieren. Mit allem, was dazugehört: schmutzige Fingernägel, Schiebermütze und schmaler Brustkorb. So sitzt er am Krankenbett des durch die Huntington-Krankheit zum Siechtum verurteilten Woody Guthrie mutmaßlich im Greystone Hospital in New Jersey. Selbst durch den Nebel von Guthries später Existenz wird klar: Hier sitzt der Eine, der seine Fackel weitertragen wird.
Mangold, der in »Ford v Ferrari« (2019) die Verehrung der Motorsportlegende Ken Miles auf verschiedene Akteure – Menschen und Maschinen – umlegte, lässt diesmal keinerlei Ablenkung zu. Er gibt Chalamet die Gelegenheit, seine Coverversion so gründlich auszukosten, wie es dem Schauspieler beliebt. Nun kann man bei Bob Dylan allerdings nicht die Augen verschließen und ihn trotzdem hören, wenn ein anderer versucht, ihn zu singen. Eine der prägenden Stimmen des 20. Jahrhunderts ist kein Acht-Zylinder-V-Motor. Chalamet reproduziert, so authentisch es ihm gelingen will, die Exzentrik eines jungen Mannes, wie man sie auf der Schauspielschule lernt. Selbstverständlich kann er nicht, was Bob Dylan ausmacht: Intonation über die Grenzen von Genres, Geschichte und Klischees hinweg, Neue Musik über Bluesskalen. Hier aber wird schematisch nachgeträllert und lukrativ mystifiziert – auf diese Weise scheitern die unzähligen Musikerfilme der vergangenen 20 Jahre reihenweise (man muss sie nicht einmal dem Gelegenheitskinogänger aufzählen).
Man darf und soll alles versuchen, auch das Unnötige, und »Like A Complete Unknown« ist vor allem das. Die Beziehungen zwischen dem unergründlichen, eigenbrötlerischen Künstler und seinen Frauen hat man analog schon Dutzende Male gesehen. Auch wenn es hier um Bob Dylan und eine gewisse Sylvie Russo (Elle Fanning) – eine fiktionalisierte Suze Rotolo? – oder um Bob Dylan und Joan Baez (Monica Barbaros) geht, es könnten genauso gut auch Johnny Cash und June Carter, Elvis und Priscilla Presley sein. Intime Phantasien über Stars, so gut belegt sie auch in unzähligen kanonischen Berichten aus dem Olymp der Popgeschichte sein mögen, bleiben doch Material für Seifenopern. Auf dem Newport Folk Festival verabschieden sich beide Lieben des Bob aus seinem Leben. Zusammen mit dem durch Edward Norton als reichlich treudoof porträtierten Pete Seeger und der gesamten Folkszene.
»Electric Dylan controversy« ist ein feststehender Begriff, sogar außerhalb der strengen Dylanologie. Er beschreibt die öffentliche Reaktion auf des Meisters Hinwendung zur elektrischen Gitarre und mithin die Abwendung von den Graswurzelidealen des Folkrevivals. Beleidigt waren sie, die Vorhippies in ihren Jesuslatschen – aber hatten sie recht? Wer war hier reaktionär oder idealistisch, ewiggestrig oder konsequent politisch? Wie dem auch sei … diese angebliche Zeitenwende, vollzogen durch genau drei Songs mit Stratocaster, E-Bass, Elektroorgel und Schlagzeug auf dem bereits erwähnten Festival am 25. Juli 1965 beschreibt der Pophistoriker Elijah Wald ausführlich in seinem 2015 erschienenen Buch »Dylan Goes Electric!«. Bereits die Coen-Brüder bedienten sich bei den von Wald mitverfassten Dave-van-Ronk-Memoiren »The Mayor of MacDougal Street«, Wald verfasste auch ein Vorwort zur Buchausgabe ihres Skripts. Ebenso beruhen wesentliche Teile von »Like A Complete Unknown« auf Walds Auslegung der historischen Ereignisse. Bob Dylan selbst twitterte positiv darüber – eine akkurate Darstellung des »Fiaskos«, angeblich. Während Organist Al Kooper einst widersprach: Die Reaktionen des Publikums seien, auch auf Grund der für die damalige Zeit ungewöhnlich großen Lautstärke, zwar erstaunt und erregt gewesen, aber nicht unbedingt mehrheitlich negativ. Schon im Vorjahr trat Johnny Cash dort mit elektrischer Gitarre auf, im darauffolgenden Jahr 1966 spielten schließlich elektrisch verstärkte Künstler ohne weitere Skandälchen.
Biopics geben sich selbstverständlich nicht mit den literarischen und musikalischen Rätseln ab, die Künstler ihrem Publikum aufgeben. Sie begnügen sich mit Geschichtsschreibung durch Küchenpsychologie. Von jeher ist es eine persönliche, große Freude des Dylan, genau diese unmöglich zu machen. Nach dem Folk und dem Rock’n’Roll wandte er sich bekanntlich dem Country zu. Erst »John Wesley Harding« (1967), dann die wunderschöne Überzuckerung des eigenen Sounds auf »Nashville Skyline« (1969). Danach »Self Portrait« (1970) mit der sehr klaren Antwort auf sämtliche Fragestellungen aller, die sich seine Biographie bereits zum Intimhobby gemacht hatten. (Antworten wie seine geknödelte Version von »Blue Moon« auf Seite drei des Doppelalbums; Richard Linklaters gleichnamiges Biopic über den Autor des Songtextes, Lorenz Hart, kommt übrigens auch bald ins Kino.)
Superhelden und untote Popstars bevölkern die Götterwelt der Überreste des Kinos im frühen 21. Jahrhundert. Sie alle dürfen die größten aller Zeiten sein, alle ihre Zeitenwenden ausrufen, faule Reaktionäre besiegen, oder allzu eifrige Revolutionäre. Merke: Captain America kennt seine Zeit und seinen Ort. Merke: Bob Dylan ist nicht nur der Anführer der Avengers, sondern gleichzeitig die bitterböse Wrecking Crew. Und mit der nimmt er sogar Musik auf. So ist das einzuordnen. So und nicht anders. Haben Sie trotzdem oder gerade deswegen Lust auf Timothée Chalamets nackte Hühnerbrust und Monica Barbaros bare Füße, bietet »Like A Complete Unknown« 141 Minuten entspannt anregenden Kinospaß.
»Like A Complete Unknown«, Regie: James Mangold, USA 2024, 141 Min., Kinostart: heute
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