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Aus: Ausgabe vom 28.02.2025, Seite 1 / Titel
Türkei und Kurden

Ölzweig aus İmralı

Türkei: PKK-Gründer Abdullah Öcalan fordert die Guerilla dazu auf, die Waffen niederzulegen. Doch zuerst ist der Staat am Zuge
Von Tim Krüger
Warten auf die Friedensbotschaft: Kundgebung mit dem Bild Öcalans am Donnerstag in Diyarbakır
Auch am Brandenburger Tor in Berlin hatten sich am Donnerstag Kurden versammelt, um die Übertragung der Pressekonferenz mit Öcalans Botschaft auf Großleinwand mit zu verfolgen
Pressekonferenz von Dem-Parteimitgliedern in Istanbul zur Verlesung der Botschaft nach ihrem Besuch bei Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı

Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, hat die Guerilla zur Niederlegung der Waffen aufgerufen. Der lange erwartete Aufruf wurde von Politikern der prokurdischen Dem-Partei nach einem erneuten Besuch bei Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Istanbul verlesen.

Die PKK als längste und umfassendste Aufstandsbewegung in der Geschichte der Republik sei entstanden, weil die »demokratischen und politischen Kanäle« verschlossen gewesen seien, ging Öcalan in die Geschichte zurück. Doch mit dem Ende der Politik der Identitätsverleugnung gegen das kurdische Volk habe die PKK »ihre Lebensdauer erreicht, was ihre Auflösung notwendig« mache. Durch den Aufruf des Vorsitzenden der zur Regierungsallianz gehörenden ultrarechten MHP, Devlet Bahçeli, aber auch den Willen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sei ein Umfeld geschaffen worden, indem er zur Niederlegung der Waffen aufrufen und dafür die historische Verantwortung übernehmen können, so Öcalan. Die PKK solle ihren Kongress einberufen und die Entscheidung über die Entwaffnung und ihre Selbstauflösung treffen.

Bereits bei einem ersten nach Jahren der Isolationshaft wieder ermöglichten Treffen der Dem-Partei mit Öcalan am 28. Dezember hatte der 75jährige politische Gefangene seine Bereitschaft betont, an einem Dialog und einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage mitzuwirken. Nach dem letzten Treffen am 22. Januar hatte die Dem-Partei einen bevorstehenden »historischen Aufruf« Öcalans und den Beginn einer »neuen Ära« angekündigt.

Nach Verlesung der Erklärung in kurdischer und türkischer Sprache zitierte der Dem-Politiker Sırrı Süreyya Önder abschließende Worte von Abdullah Öcalan an die Dem-Delegation: »Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage.« Dies verdeutlichte, dass nun der türkische Staat am Zug ist. So waren erst in den vergangenen Wochen erneut mehrere kurdische Bürgermeister vom türkischen Staat abgesetzt und zahlreiche Oppositionelle verhaftet worden.

Die PKK selbst hatte in verschiedenen Stellungnahmen immer wieder ihre grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft erklärt. Zuletzt erklärte aber der Oberkommandierende ihrer Guerilla, Murat Karayılan, für eine so weitreichende Entscheidung müsse der Parteikongress der PKK zusammentreten. Dabei sei es notwendig, dass Öcalan frei »seine Arbeit leisten« und sich »durch technische Mittel« oder Delegationen an den Diskussionen beteiligen könne. Zustimmung zu Öcalans Erklärung äußerte der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Nordirak Nêçîrvan Barzanî von der eng mit der Türkei verbündeten konservativen Demokratischen Partei Kurdistans.

In den Städten Diyarbakır und Van im kurdischen Südosten der Türkei hatten sich Tausende vor eigens dafür aufgestellten Großleinwänden versammelt, um die Pressekonferenz mitzuverfolgen. Auch am Brandenburger Tor in Berlin hatten sich Kurden versammelt, um auf einer Leinwand die Pressekonferenz mitzuverfolgen. Öcalan habe die »Tür für einen Friedensprozess in der Türkei aufgestoßen«, erklärte der Kovorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, auf X. Nun müsse die Bundesregierung alles dafür tun, Frieden zu unterstützen. »Dazu gehört auch eine Aufhebung des PKK-Verbots. Und Öcalan muss freigelassen werden.«Siehe Seite 8

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gion H. aus Zürich (28. Februar 2025 um 15:57 Uhr)
    Dass nun wieder ein Kontakt zu Abdullah Öcalan besteht und ein gewisser – jedoch stark eingeschränkter – Dialog stattfinden kann, ist schon mal eine sehr gute Nachricht. Seine Freilassung wäre unbedingt notwendig. Dass dieser sehr eingeschränkte Dialog jedoch nur aufgrund einer Initiative des faschistischen MHP-Führers erfolgte, muss doch zu denken geben. Dass nun ein einzelner Mann (!) nach 25 Jahren Knast, davon viele Jahre in totaler Isolation ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt, die Selbstauflösung der PKK bestimmen kann, weil angeblich die Verleugnung der kurdischen Identität nicht mehr bestehe – gleichzeitig aber kurdische gewählte Bürgermeister*innen abgesetzt, verhaftet werden – kann ich nicht nachvollziehen. Ein Mann dankt zwei anderen Männern: dem Massenmörder Erdoğan und dem faschistischen MHP-Führer Devlet Bahçeli. Eine Sache unter Männern? Zudem: Ich sehe in der Delegation 9 Männer und 2 Frauen. Nur ein unwichtiges Detail? Patriarchale Realität, wie gehabt. Wo ist die vielbeschworene und immer erwähnte Geschlechterbefreiung? Aber klar, es liegt nicht an mir hier aus Zentraleuropa, zu sagen, was der für die Kurd*innen der richtige Prozess, welches die richtigen und jetzt notwendigen Schritte sind. Wir leben hier in noch viel größeren Widersprüchen! Aber Fragen sind schon da.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (27. Februar 2025 um 21:17 Uhr)
    Was hat Öcalan zu diesem Aufruf bewegt; sein Alter, seine Isolation? Verständlich, dass sein »Kultstatus« und die Jahrzehnte langen Leiden der kurdischen Bevölkerung mit Euphorie aufgenommen werden. Mit allem Respekt, aber es gibt weder konkrete Pläne und Vorgehensweisen (ein sogenannter »Fahrplan«) noch Zeitschienen. Guatemala, El Salvador, Kolumbien und Sri Lanka bieten gute Beispiele, wie eine vorschnelle Vorgehensweise ohne fundierte Garantien und ersten (!) Gegenleistungen des Unterdrückers – in diesem Fall des türkischen Staates – nicht funktionieren und kontraproduktiv sind. Z. B. wird es in den mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Gebieten (Städte, Dörfer, Regionen) eine kurdische Administration geben, u. a. mit kurdischen Polizeieinheiten? Kann Kurdisch und die kurdische Geschichte in diesen Regionen in Schulen unterrichtet werden? Gibt es eine gewisse Autonomie? Was ist mit kurdischen Symbolen, der Kultur? Was ist mit den KurdInnen in Syrien, die von der Türkei und dem türkischen Al-Qaida-Regime nach wie vor bedroht werden und auch nicht – wie andere Minderheiten – in den sog. nationalen »Dialog« eingeladen wurden? Es ist zu befürchten, dass eine voreilige Waffenniederlegung ohne Plan und vorherige konkrete Schritte der AKP bzw. Türkei in einer weiteren Tragödie enden könnte.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

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