Quarter pounder des Tages: Big Brother
Von Felix Bartels
Wir hätten gewarnt sein müssen. In den frühen Neunzigern, klaftertief noch in der Kohl-Ära, stand ein Auto auf dem Alexanderplatz. Drei Männer und eine Frau sollten darin ausharren, wer es am längsten schaffe, dem gehöre die dann gewiss rustikal duftende Kraftdroschke. Das Happening wurde nach zwei Wochen abgebrochen, Menschenwürde und so. Unser Land war noch nicht bereit, erst im Jahr 2000 ging die erste Staffel »Big Brother« auf Sendung. Am 28. Februar, 25 Jahre ist das her.
Zehn Menschen in einem Container, jede Woche einer rausgewählt. Lagerkoller als Programm, Überwachung rundum. Der von Orwell geliehene Name war ja kein Lob. Kulturindustrie indessen scheint der Ort, das Hässliche ins Schöne zu brabbeln. »Big Brother«, lässt sich heute sagen, wirkte wie ein Gleitmittel. Der gläserne Staatsbürger ist im Zeitalter der Smartphones Normalität geworden, das Fernsehformat hat, ohne Absicht gewiss, einen Teil des Wegs dahin bereitet. Uns mit gewöhnt daran, permanent auf dem Präsentierteller zu sitzen.
Auch kulturell war die Sendung eisbrecherisch. Ein gutes Jahrzehnt vor »Fack ju Göhte« entdeckte bildungsferne Stimmung ihr Selbstbewusstsein. Der früh herausgewählte Zlatko sang mit einer Verve, die Sam Cookes »don’t know much about history« nachgerade sympathisch wirken ließ: »Ob nun Shakespeare oder Goethe, die sind mir doch scheißegal.« Die Bromance von Zlatko und Jürgen hatte Welle gemacht, Jürgen ging als Favorit ins Finale, das dann allerdings von der indifferenten Berliner Schnauze John gerockt wurde. Auch der war irgendwie wegweisend, konnte sich drauf verlassen, dass Jürgen mit jedem Fan zwei Hater gewinnt. Wie Merkel saß er an der Flussbiegung, bis die Leichen seiner Feinde vorbeischwammen. Heute weiß man von ihm nur, dass er noch lebt. Und nicht mal das weiß man genau.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Ansichten
-
Ankara ist am Zug
vom 01.03.2025