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Aus: Ausgabe vom 01.03.2025, Seite 8 / Ansichten

Ankara ist am Zug

Öcalans Aufruf zur Waffenniederlegung
Von Nick Brauns
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In Diyarbakır verfolgten Tausende am Donnerstag auf einer Großleinwand die Pressekonferenz mit Öcalans Botschaft

Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, hat am Donnerstag seine Organisation zur Niederlegung der Waffen und Selbstauflösung aufgerufen. Es ist nicht das erste Mal, dass Öcalan den bewaffneten Kampf für beendet erklärt hatte. Auch nach seiner Gefangennahme 1999 und zum Newrozfest 2013 erfolgten ähnliche Erklärungen. Da die türkische Regierung dies als Kapitulation deutete und zu keinen Zugeständnissen bereit war, flammte der Krieg jeweils wieder neu auf.

Diesmal geht die Erklärung Öcalans allerdings auf eine Initiative von Devlet Bahçeli zurück. Mit einer vom kurdischen Repräsentanten angestrebten Demokratisierung der Türkei hat der Vorsitzende der faschistischen Mitregierungspartei MHP dabei nichts am Hut. Vielmehr zielt der strategisch denkende Staatsmann auf die Schließung der inneren Reihen, um die Türkei sicher durch die Stürme des Nahen Ostens zu steuern. Öcalan spielte diesen Ball zurück, als er die Notwendigkeit einer erneuten Festigung des 1.000jährigen Bündnisses der Türken und Kurden betonte, »um ihre Existenz zu sichern und gegen Hegemonialmächte zu bestehen«.

Der geforderte Verzicht auf Guerillaaktionen geht von der Realität aus, dass die PKK innerhalb der Türkei militärisch kaum noch präsent ist, während mit der Dem-Partei ein ziviler Akteur mit breiter Verankerung unter der kurdischen Bevölkerung besteht. Politisch wie militärisch wirkmächtig sind die Anhänger Öcalans dagegen im Autonomiegebiet in Nordostsyrien. Der Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mazlum Abdî, begrüßte zwar Öcalans Aufruf, betonte aber, dass sich dieser keinesfalls auf seine nicht mit der PKK verbundene Truppe beziehe und seine Dialogpartner in Damaskus seien. Dass die US-Regierung nach seiner Erklärung die Türkei drängte, eine Lösung für Nord- und Ostsyrien nicht mehr zu blockieren, dürfte Öcalans Intention gewesen sein.

Noch ist nicht bekannt, was mit der türkischen Regierung vereinbart wurde. Doch ohne eine Roadmap, wie sie während des Dialogprozesses im Jahr 2013 vereinbart, aber dann von Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan aufgrund kurzsichtiger wahltaktischer Erwägungen verworfen worden war, dürfte Öcalan diesmal kaum einen so weitreichenden Aufruf gewagt haben. Darauf deutet ein mündlicher Zusatz zu seiner Erklärung hin: »Zweifellos erfordert das Niederlegen der Waffen und die Selbstauflösung der PKK in der Praxis die Anerkennung der demokratischen Politik und der rechtlichen Dimension.« Ohne konkrete Schritte und Sicherheitsgarantien wird die PKK niemals ihre Transformation in eine rein politische Bewegung beschließen. Dies betrifft insbesondere eine Generalamnestie, durch die Tausende erfahrene Militante einschließlich Öcalan und des charismatischen Politikers Selahattin Demirtaş aus den Gefängnissen frei- und die abgesetzten Dem-Bürgermeister in ihre Ämter zurückkämen. Jetzt ist erst einmal der Staat am Zug.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (28. Februar 2025 um 22:12 Uhr)
    Haben Sie eine Vorstellung, was diese vollständige Waffenniederlegung/-abgabe bedeutet? Im Norden von Syrien und vom Irak, aber auch im Iran und im Westen und Süden von Afghanistan (Hekmatyjar-Land) kommen dann zehntausende IS- und radikale Talibankämpfer aus der Verwahrung. Sie werden nicht in der Umgebung dieser Lager bleiben, wenn es nicht mehr bewacht wird. Die Wächter können an den offenen Toren gleich die Waffen samt Munition übergeben. Wohin wird ihr IS-Weg sie führen? Nach all den Jahren der Fremdherrschaft? - Nun … die Wege zum Ziel sind auch lang und weit und breit. Doch ich frage mich, warum das Gottanbeten seit zwei Jahrtausenden erfolglos geblieben ist. Beim nächsten Gottesdienst sollten alle mal ein klärendes Gespräch mit dem Vorgesetzten von Gott verlangen und alle verbleibenden strittigen Fragen klären.

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