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Aus: Ausgabe vom 04.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Türkei und Kurden

Warten auf Ankara

Türkei: Trotz Waffenstillstand der PKK setzt die türkische Armee ihre Angriffe fort. Kurdische Politiker hoffen dennoch auf positive Schritte des Staates
Von Tim Krüger
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Kurdische Jugendliche in Diyarbakır während der Liveübertragung der Pressekonferenz von Öcalans Friedensappell (27.2.2025)

»Als PKK erklären wir, dass wir den Inhalt des Aufrufs vollständig unterstützen und von unserer Seite aus alle erforderlichen Schritte einhalten und umsetzen werden.« Am vergangenen Sonnabend wandte sich das Exekutivkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit einer umfassenden Erklärung an die Öffentlichkeit. Die Partei reagierte damit auf den Aufruf ihres Gründers Abdullah Öcalan. Der seit 26 Jahren inhaftierte Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung hatte am 27. Februar die PKK dazu aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen und ihre Selbstauflösung einzuleiten. Seit Oktober vergangenen Jahres sei durch den Aufruf des Vorsitzenden der zur Regierungsallianz gehörenden ultrarechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahçeli, und die darauf folgende Debatte über die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei ein günstiges Klima für die friedliche Beilegung des Konfliktes entstanden. Im Vorfeld von Öcalans Aufruf ist Delegationen der prokurdischen Dem-Partei mehrfach Zugang zur Gefängnisinsel İmralı gewährt worden, wo Öcalan seit 1999 die meiste Zeit in Isolationshaft gefangen gehalten wird. Laut der Dem sollen auch Vertreter des türkischen Staates an den Gesprächen mit Öcalan beteiligt gewesen sein.

Mit ihrer Waffenstillstandserklärung vom 1. März erklärte sich die Führung der PKK auch dazu bereit, ihren Kongress einzuberufen, sollten die entsprechenden Bedingungen geschaffen werden. Öcalan selbst hatte in seinem Aufruf erklärt, dass der Parteikongress über Entwaffnung und Auflösung der seit über 40 Jahren kämpfenden Bewegung entscheiden müsse. Die PKK betonte jedoch, dass es für einen erfolgreichen Prozess notwendig sei, dass sich Öcalan selbst federführend an einem solchen Kongress beteiligen könne.

Von der türkischen Seite aus sind derweil noch keine konkreten Schritte zu erkennen. Devlet Bahçeli verkündete in einer Pressemitteilung, Öcalans Erklärung sei »von Anfang bis Ende wertvoll und wichtig« und bezeichnete die Stellungnahme der PKK als »erfreulich«. Als MHP sei man jedem dankbar, der »den Demokratisierungsprozess bedingungslos unterstützt«, doch welche Schritte nun folgen werden, ließ der Rechtsaußenpolitiker offen. Die Fraktionsvorsitzende der Dem-Partei, Gülistan Kılıç Koçyiğit, forderte am Sonntag gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw, dass zwischen Öcalan und der PKK ein direkter Kommunikationskanal geschaffen werden müsse. Der Dem-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder, der bei den Gesprächen auf İmralı beteiligt war, erklärte gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur Anka, für die laufende Woche seien Gespräche mit Vertretern des Staates und der Politik in der Türkei geplant. Der »schwierige Teil des Themas« sei mit Öcalans Aufruf erledigt, und er erwarte, dass in der kommenden Woche »viele Dinge klarer und konkreter werden«.

Unklar ist auch noch, was der Prozess für die selbstverwalteten Gebiete Nord- und Ostsyriens bedeuten wird. So begrüßte der Generalkommandant der Syrischen Demokratischen Kräfte, Mazlum Abdi, den Aufruf Öcalans, stellte jedoch klar, dass sich der Appell allein auf die Guerillaverbände der PKK beziehen würde. Sollte der Prozess erfolgreich sein, würden allerdings auch die Selbstverwaltung von der neuen Situation profitieren. Die türkische Armee war seit 2016 mehrfach in das türkisch-syrische Grenzgebiet einmarschiert und hält bis heute weite Teile vor allem der kurdischen Siedlungsgebiete besetzt. »Wenn dieser Prozess erfolgreich ist, wird er sich positiv auf uns auswirken, und die Türkei wird keinen Vorwand haben, unsere Region anzugreifen«, so Abdi.

Auch der langjährige Politiker der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, bekundete gegenüber der Nachrichtenagentur ANF seine Unterstützung für die Initiative Öcalans. Muslim betonte, dass nun Ankara am Zug sei. Es sei »inakzeptabel, dass der türkische Staat auf seiner Forderung beharrt, die PKK müsse ihre Waffen schweigen lassen, andererseits aber seine eigenen Angriffe unvermindert fortsetzt«. Auch nach dem einseitigen Waffenstillstand der PKK setzten die türkische Armee und ihre Verbündeten ihre Angriffe im Norden Syriens sowie gegen die Guerilla im Nordirak fort. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CPT gegenüber Rojnews seien seit dem Aufruf Öcalans mindestens acht Luftangriffe gegen Gebiete in der Kurdistan-Region des Iraks geflogen worden.

Hintergrund: Waffenstillstände der PKK

Fast neun Jahre nach Beginn des bewaffneten Kampfes 1984 erklärte Abdullah Öcalan am 17. März 1993 den ersten einseitigen Waffenstillstand der PKK. Doch der Versuch, eine demokratische Lösung der kurdischen Frage zu erreichen, lief ins Leere.

Trotz der Tatsache, dass auch weitere Feuerpausen an der Haltung der türkischen Führung scheiterten, unternahm Öcalan im August 1998 einen weiteren Vorstoß zur friedlichen Beilegung des Konfliktes. Nach einer monatelangen Odyssee durch Europa wurde Öcalan am 15. Februar 1999 aus der griechischen Botschaft in Kenia verschleppt und inhaftiert.

Aus dem Gefängnis rief Öcalan anlässlich des Weltfriedenstags am 1. September 1999 zu einem Rückzug der Guerillakräfte aus der Türkei auf. Trotz umfassender Reformvorschläge Öcalans weigerte sich die türkische Seite, konkrete Schritte zu unternehmen. 2004 flammten die Gefechte erneut auf.

Während 2009 die prokurdische Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) große Siege bei den Kommunalwahlen einfahren konnte, begannen in der norwegischen Hauptstadt Oslo bis 2011 andauernde Geheimverhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Geheimdienst.

Die Verhandlungen scheiterten vorerst, doch nach einem kurzen, heftigen militärischen Zwischenspiel wurden die Verhandlungen zwischen Öcalan und Vertretern der türkischen Regierung ab Beginn 2013 offiziell wiederaufgenommen.

Diese als »İmralı-Prozess« bekannten Verhandlungen waren bereits weit fortgeschritten, als die türkische Regierung 2015 den Waffenstillstand aufkündigte und einen bis heute andauernden Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung im In- und Ausland entfesselte. (tk)

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