Spenden
Von Marc Hieronimus
Gestern war ihm der HERR erschienen. Was willst du, HERR, hatte er gesagt. Der HERR schaute öfter mal vorbei, sie waren längst per Du, aber Reuter kannte immer noch nicht seinen Namen.
– Zieh hinaus in die Stadt und spende!
– HERR, was soll ich spenden?
– Spende owzaswerjduzg!
– Was?!
– Du sollst spenden, spende qöiwobfrejtrzxcb aus vollen Händen!
Dann aber scholl der Wecker, er sprang auf, strich seinen Anzug glatt und öffnete die Tür. So lief das zwischen ihnen. Immer nur Tu dies, Lass das, und selten mal ein Dankeschön. Doch Reuter tat, wie ihm der Herr geheißen.
Auf dem Weg zur Bahn spendete er dem Vorstadtgefieder gebührlich Aufmerksamkeit und eine Anzugtasche Saatgut. Frau Bongartz, seine Sachbearbeiterin bei der Volkssparkasse Dünnwald-Holweide, hatte ihm zwar bei einer früheren Gelegenheit zu verstehen gegeben, dass Samenspenden ein gewisses Schmuddelimage anhafte und sie auch ethisch-rechtlich nicht ganz unbedenklich seien, aber mit dem Segen des HERRN setzte sich Reuter über derlei Kleingeist selbstbewusst hinweg.
Einmal in der Stadt wartete er auf eine Eingebung. Hm. Vom Neumarkt ging die Lungengasse ab. Lunge, Herz, Nieren … klar, er könnte Organe spenden, aber so schrecklich viele hatte er leider nicht. Mehr aus Verlegenheit als Überzeugung kaufte er bei einem nahen Metzger Rückenmark und Innerei und gab sie einigen älteren Passanten, die sie sich mit ihren Hunden teilen wollten. Zur Sicherheit spendete er ihnen noch Schatten, Beifall und ein wenig Trost, aber der Zweifel blieb.
Was musste der HERR auch immer so undeutlich sein! Neulich erst wollte er ihm den Weg zur Glückseligkeit weisen. Es klang zunächst ganz einfach: Leuchterstraße runter, Berliner stadteinwärts, dann links die B51, aber je näher Reuter der Verheißung kam, desto unklarer wurde die Aussprache. Letztlich blieben die Wege des HERRN unerfindlich. Schade, er hätte sich das gerne mal angeschaut.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. März 2025 um 22:47 Uhr)Zum Glück haben wir mit der jW einen Leuchter. Aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten (wenn außer dem Licht etwas zu Beleuchtendes und dahinter etwas Beschattbares da ist). Deshalb: Eine Losung muss her. Welche? Prüft alles und behaltet das Gute, die vom Wild und vom Hund, die vom Kasernentor, Völker hört die Signale …?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ronald B. aus Kassel-NORD! (6. März 2025 um 14:57 Uhr)»Zum Glück haben wir mit der jW einen Leuchter« – fürwahr, führwahr …
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