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Aus: Ausgabe vom 10.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Volkskongress China

Große Welttransformation

Der Nationale Volkskongress Chinas behandelte eingehend Fragen der internationalen Politik und warnte vor Missachtung der UN-Prinzipien
Von Jörg Kronauer
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Beijing, 9. März: Der 14. Nationale Volkskongress tagt in der Großen Halle des Volkes

Sehr grundsätzlich wurde Chinas Außenminister Wang Yi, als er in seiner Pressekonferenz am Rande der dritten Jahrestagung des 14. Nationalen Volkskongresses am Freitag in Beijing auf die Lage der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts zu sprechen kam. 2025, in dem Jahr, in dem die UNO ihren 80. Geburtstag feiern könne, sei der Unilateralismus im Aufstieg begriffen, konstatierte Wang: Blanke Machtpolitik greife um sich. Manche Länder legten »Skepsis« gegenüber der UNO an den Tag; damit war insbesondere der Austritt der USA aus gleich mehreren UN-Organisationen gemeint. Eine »Rückkehr zum Gesetz des Dschungels« jedoch wollten die Länder der Welt – zumindest ihre erdrückende Mehrheit – vermeiden. Man müsse deshalb zentrale Grundprinzipien stärken: allen voran die »souveräne Gleichheit« aller Staaten; sodann den Grundsatz der Fairness und der Gerechtigkeit, der untersage, dass eine geringe Anzahl an Staaten die internationale Politik dominiere. Mit der Cliquenbildung einiger Länder – er meinte die westlichen Mächte – müsse Schluss sein. Es gelte statt dessen, das internationale Recht und die allgemeine Kooperation wieder zu stärken.

Angebot an USA

Der Stand der Dinge in der Weltpolitik zu Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump zählte – wie könnte es anders sein – zu den Themen, die auf dem Nationalen Volkskongress eingehend behandelt wurden. Die zentrale Rolle kam dabei Wang und seiner Pressekonferenz zu. Der Außenminister, als Leiter der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten zugleich Chefaußenpolitiker der KP, bot den Vereinigten Staaten einmal mehr Kooperation an; das könne, erklärte er, beiden Seiten Nutzen bringen. Für den – wohl eintretenden – Fall, dass Washington das Angebot ablehne, fügte Wang, auf die jüngsten US-Zölle anspielend, hinzu, niemand dürfe sich der Illusion hingeben, China einzudämmen zu versuchen und zugleich gute Beziehungen zu dem Land unterhalten zu können. Bereits am Dienstag hatte die chinesische Botschaft in den USA mit Blick auf den US-Wirtschaftskrieg und die anhaltende Aufrüstung der US-Streitkräfte gegen die Volksrepublik gewarnt: »Wenn es Krieg ist, was die USA wollen – sei es ein Zollkrieg, ein Handelskrieg oder irgendeine andere Form von Krieg –, dann sind wir bereit, bis zum Ende zu kämpfen.«

In diesem Kontext kam der Debatte um Taiwan hohe Bedeutung zu. Wang betonte explizit, Taiwan sei kein eigener Staat, es sei Teil Chinas, und er ließ – wie üblich – keinerlei Zweifel daran, die Volksrepublik werde »die Wiedervereinigung erreichen«; der Prozess sei »nicht zu stoppen«. Wer taiwanische Unabhängigkeitsbestrebungen fördere, gefährde die Stabilität in der Taiwanstraße. In diesem Zusammenhang nannte er ausdrücklich Japan. Allerdings waren in Beijing auch andere Töne zu hören. Ministerpräsident Li Qiang etwa erklärte, gegenüber dem Vorjahr zurückhaltender formulierend: »Wir fördern die friedliche Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße.« Der Hintergrund seines Angebots an Taipei, die Zusammenarbeit zu intensivieren: Die Trump-Regierung verfolgt zwar eine offen gegen Beijing gerichtete Politik; sie hat aber schon jetzt Taiwans Stellung geschwächt. Das gilt zum einen für die Ebene der Legitimation. Kürzlich fragte sogar der US-Council on Foreign Relations: »Wenn Trump Grönland einnehmen kann, warum kann China dann nicht Taiwan einnehmen?« Zum anderen stellt sich sogar für Taiwans Hardliner zunehmend die Frage: Wenn Trump Kiew fallenlässt, kann sich Taipei dann auf ihn verlassen? Oder steht es am Ende ganz allein da?

Süd-Süd-Kooperation

Mehrfach hervorgehoben wurde auf und am Rande des Nationalen Volkskongresses, dass Beijing sich in den aktuellen Verwerfungen der internationalen Politik unverändert als enger Verbündeter des globalen Südens sieht. Die Volksrepublik habe sich stets an der Süd-Süd-Kooperation beteiligt und sie unterstützt, rief bereits am Dienstag Lou Qinian, der Sprecher des Nationalen Volkskongresses, in Erinnerung. Der Aufstieg des globalen Südens, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten 80 Prozent zum globalen Wirtschaftswachstum beigetragen habe, sei ein prägender Zug der großen Transformation, in der sich die Welt zur Zeit befinde. Wang bekräftigte dies am Freitag. Er urteilte zudem, der globale Süden habe »eine Schlüsselrolle« bei den Bemühungen inne, »der Welt Stabilität zu bringen und sie zu einem besseren Ort zu machen«. China werde seine Kooperation mit ihm intensivieren.

Einmal mehr bot Wang chinesische Unterstützung bei Bemühungen um die Beendigung des Ukraine-Krieges an; er erinnerte daran, dass Beijing von Anfang an darauf hinzuarbeiten versucht habe, den Waffengang zu beenden sowie eine friedliche Lösung des Konfliktes zu finden. Den Versuchen der Trump-Administration, einen Keil zwischen Russland und China zu treiben, sagte er das Scheitern voraus: Die »reife und widerstandsfähige Beziehung« zwischen Moskau und Beijing werde durch äußere Entwicklungen oder auch durch »dritte Parteien« nicht beeinflusst. Ergänzend warb Wang zum einen bei Indien, zum anderen bei der EU um eine intensive Zusammenarbeit, die jeweils beiden Seiten Vorteile verspreche. Und schließlich warnte er speziell mit Blick auf das Südchinesische Meer, das zuletzt verstärkt ins Visier auch mehrerer EU-Staaten rückte – darunter Deutschland –, »Provokationen« gingen nach hinten los. Bezogen auf die Philippinen, die sich von den USA militärisch gegen die Volksrepublik in Stellung bringen lassen, äußerte er: »Wer sich von anderen als bloße Schachfigur einsetzen lässt, wird unweigerlich entsorgt werden.«

Entwicklung der Streitkräfte

Chinas Präsident Xi Jinping, der nicht nur Generalsekretär des Zentralkomitees der KP Chinas, sondern zugleich Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist, äußerte sich am Freitag auf einer Plenarsitzung der Delegation der Volksbefreiungsarmee im Rahmen der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses zur Entwicklung der chinesischen Streitkräfte. Einen Schwerpunkt wird demnach auch in Zukunft der Kampf gegen Korruption bilden. Dieser hat bereits zahlreiche Militärs und Rüstungsindustrielle zu Fall gebracht, darunter zwei Verteidigungsminister – Wei Fenghe und Li Shangfu – und ein Mitglied der mächtigen Zentralen Militärkommission, Miao Hua. Korruption verschwende nicht nur Geld, sie führe auch dazu, dass die Entwicklung der Streitkräfte langsamer voranschreite, ist aus Beijing immer wieder zu hören. Xi forderte jetzt den Ausbau wirksamer Supervisionssysteme sowie eine auch in Zukunft umfassende Aufklärung korrupter Praktiken.

Daneben drang Xi darauf, bei der Entwicklung von Waffen wie auch bei ihrer Anwendung »innovativ« vorzugehen und »fortgeschrittene Technologie« zu nutzen. Schon jetzt schreitet die chinesische Rüstungsindustrie rasch voran. Heißt es über die chinesische Marine meist, sie verfüge zwar bereits über mehr Schiffe als die US-Seestreitkräfte, liege aber in der technologischen Entwicklung zurück, so scheinen sich die Verhältnisse bei der Luftwaffe inzwischen zu verändern. Seit geraumer Zeit wird auch unter westlichen Militärs beispielsweise diskutiert, ob die jüngsten, in Entwicklung befindlichen chinesischen Kampfjets der neuesten, sechsten Generation nicht längst an den modernsten US-Kampfjets vorbeigezogen sind. Xi hatte bereits im vergangenen Jahr erklärt, entscheidend für die weitere militärische Entwicklung der Volksrepublik könne es sein, Weltraumwaffen, Waffen für den Cyberkrieg und vor allem die militärische Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) in hohem Tempo voranzutreiben. Darauf bezog sich die Forderung nach stärkerer Nutzung »fortgeschrittener Technologie« wohl erneut. (jk)

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