Alles fließt
Von Ken Merten
Die Floskel »X sei Y, aber für Erwachsene« ist ja oft Quatsch. Wenn es nicht gerade um das Verhältnis von Mumm zu Robby Bubble geht. Schon statistisch, bringt doch die Menschheit zwar viele ausgewachsene, aber wenig erwachsene Exemplare hervor und richtet ihr Angebot entsprechend selten nach letzteren aus. Meist ist das Gerät, das angeblich kein Spielzeug mehr sein soll, dann auch nur eins, aber dunkler gehalten, oder hat spitze Ecken und scharfe Kanten. So ein Spielzeug für Ausgewachsenere sind Paleface Swiss im Abgleich zu den weit prominenteren Amis Falling in Reverse.
Beide Bands verkörpern Rückschritte: Versuchte der Nu Metal ab Mitte der 90er Powerchordrock und HipHop so zu legieren, dass die einzelnen Elemente nicht stets drohten auseinanderzufallen, zerren Paleface Swiss und Falling in Reverse wieder auseinander, was von Papa Roach, P.O.D. und Slipknot nachgewiesen zusammenpasst, ohne zu flocken.
Die obsolet gewordenen Genremauern zieht es natürlich nicht in allerletzter Konsequenz wieder hoch, das Zürcher Quartett, dessen Herkunft seit 2023 den Bandnamen verunziert, damit man bei Suchanfragen nicht auf einen gleichnamigen US-Singer-Songwriter stößt (der sich nach ähnlicher Logik die orangen Haare tünchen müsste, damit man ihn nicht für Ed Sheeran hält, aber das nur nebenbei). Auf der neuen, dritten LP »Cursed« knallt es mit »Hatred« durchaus munter drauflos, Sänger Marc Zellweger keift in Doubletime so druckvoll daher, man hört jeden einzelnen der Spucketropfen, die da beim Aufnehmen geflogen sind. Erst ab der zweiten Hälfte des Songs wird die Differenz zum Nu Death Metal Slipknots größer als nur in bezug auf fehlende Percussions und die bei Paleface Swiss einsam von Yannick Lehmann gezogene Gitarrenspur. Dann kippt der Song zurück in den Beatdown, der sich auf den Vorgängeralben »Chapter 3: The Last Selection« (2020) und »Fear & Dagger« (2022) noch dominanter fand. Sich davon zu lösen kostete Spielzeit: »Cursed« schafft man in der halbstündigen Mittagspause zu hören, und danach kann man sogar noch etwas vom doppelt so langen »Fear & Dagger« nachspeisen.
Mit »Enough?« gibt es den anfangs komplett von Metal befreiten Raptrack, in den die Stromgitarren erst langsam als Störsignale reinpurzeln, bis der Song dann doch zum Nu Deathcore gerät. »Let’s give ’em what they want«, ist Zellwegers Ansage dazu, dass es gleich rummst. »Is it fuckin’ hard enough for you?« fragt er im Ausgang eines Songs, der nicht nur mit anderen instrumentellen Mitteln gebaut wurde als das übliche Lied von Falling in Reverse; für Blastbeats werden Chartplatzierungen selten freigeschaufelt.
Auch der Inhalt ist ein anderer: Falling in Reverse mit – gern wörtlich nehmen! – Frontschwein Ronald Radke punkten dadurch, dass die Cancel Culture Mal zu Mal den Ruf nicht ruiniert, sondern erst einrichtet. Radke wurde in der Vergangenheit Fehlverhalten gegenüber Frauen vorgeworfen, bis hin zur Vergewaltigung, ohne dass er dafür verurteilt wurde, juristisch gilt er als unschuldig. Online derweil schnappt er regelmäßig über, beleidigt sein eigenes, ihn aushaltendes Szenepublikum u. a. als einen »bunch of bitch made soft ass communist dick riders with pronouns in their bio« und macht sich ritterlich dazu auf, die Cisweiblichkeit vor Frauen imitierenden Männern zu erretten. Das Ergebnis des wieder und wieder von Radke heraufbeschworenen Shitstorms: »Popular Monster«, das fünfte Album von Falling in Reverse, schaffte es letztes Jahr mit einem Cover, das ein Polizeifoto von Radke nach einer Festnahme wegen häuslicher Gewalt 2012 zeigt, für vier Wochen in die Top ten der deutschen Hitliste. Die Inhalte der Songs drauf zusammengefasst: Buhu, übel ist doch die gemeine Welt zu mir (Radke)!?
Das Rechts- ist bei Paleface Swiss durch das Linksliberale ersetzt: »I always see you motherfuckers writing homophobic shit on the Internet / And cussing about all the people that are just enjoying it / Writing about things that you have nothing to do with / And giving all of us new struggles to deal with«, heißt es in »Enough?«. Wirklich auseinandergepflückt wird der Machismo jedoch nicht, sondern aufgelistet, was die Metalcoreszene so an Rumgemackere zu bieten hat – Überraschung: nicht wenig. Und ein Gegengift lässt auf sich warten: »I fuckin’ hate you haters / Well, hold on, that makes me one of you too.« Unbewaffnet zum Battlerap, uff.
Vielleicht klappt es nicht, weil man sich nicht die Mühe macht, nach einem Ausweg zu suchen. Auch Paleface Swiss können manches nicht lassen, was immer noch als ästhetisch gehaltvoll missverstanden wird und misogyner Mumpitz ist: Mit »Rivers of Sorrow« trudelt »Cursed« aus, das mit der mütterlichen Elegie auf einen toten Jungen beginnt (»Un pobre niño murió«). Im dazugehörigen Video zu »Rivers of Sorrow« ist die Emofreundin – femme fragile, femme suicidaire, femme victime – Staffage: Frisch erhängt baumelt sie von der Decke und transformiert sich zum Blumengesteck. Die Sorge, sie fließt dahin, und niemand da, der dämmt.
Paleface Swiss: »Cursed« (Blood Blast Distribution)
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