Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 10.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Computerspielsucht

Schlaflos vor Stalingrad

Wer zu viel daddelt, bekommt Probleme
Von Hagen Bonn
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Weltweit leiden rund drei Prozent aller Kinder und Jugendlichen ab acht Jahren an einer Computerspielsucht

Wie wir alle wissen, gibt es Probleme, die einfach zu bewältigen sind, andere hingegen sind kaum zu lösen. Wenn etwa der Laptop in Flammen aufgeht, drücken wir geschwind die »Löschtaste«. Ha, ha. Was aber, wenn wir vor dem Gerät sitzen und nicht mehr davon loskommen? Vor 20 Jahren hatte mich das Spiel »Call of Duty 2« vollständig in der Hand. Kein Wunder, als Soldat der Roten Armee in Stalingrad war ich nächtelang wach, um die deutschen Faschisten von der Wolga fernzuhalten. Essen, Schlafen, daran war nicht zu denken, also vor dem Bildschirm, im Schützengraben damals sicher auch.

Irgendwann fiel mein Kopf vor Müdigkeit auf die Tastatur. Dazu passt der Bericht einer Forschungsgruppe der Hochschule West in Trollhättan (Schweden). Die warnt aktuell in der Fachzeitschrift BMC Psychology vor den stark zunehmenden psychiatrischen Problemen bei Computerspielsucht. Die Wissenschaftszeitschrift Spektrum berichtet online dazu: »Weltweit leiden rund drei Prozent aller Kinder und Jugendlichen ab acht Jahren an einer Computerspielsucht. In Stichproben aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind es sogar rund ein Drittel.«

Die Forschungsgruppe aus Trollhättan befragte 72 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren, die deshalb in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken behandelt wurden. In vielen Fällen hat das Vertrauensverhältnis der Spielsüchtigen zu ihren Eltern die Schwere der Symptomatik beeinflusst. Das sei aber kein Automatismus. »Denn wer exzessiv spielt, verschließt sich womöglich eher vor den Eltern, damit sie nichts davon bemerken. Dann wäre die mangelnde Offenheit nicht eine der Ursachen, sondern ein Indiz für die Sucht.«

Was tun? Als Beispiel sei hier die »AG-Spielsucht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie« in der Berliner Charité genannt. »In den Menü­punkten Glücksspiel und Computerspiel finden Sie wichtige Informationen zu diesen Phänomenen und können anhand eines kurzen Selbsttests Ihre persönliche Gefährdung überprüfen«, lesen wir auf der Webseite der AG. Die ist ein Beratungsangebot, denn Eltern können immer weniger einschätzen, wie die Computerspielwelt, einschließlich der verschiedenen Konsolen- und Handy-App-Spiele, heute funktioniert. Der Markt ist riesig und ein Milliardengeschäft, das die klassischen Traumfabriken von Hollywood schon vor vielen Jahren überholt hat, sei es bei Reichweite oder Umsatz. Deshalb ist es heute um so wichtiger, im Gespräch zu bleiben, was bei der Hauptzielgruppe der Spielebranche eine Sache für sich ist, zumindest ab einem gewissen Alter. Oder wie mein Nachbar einmal sagte: »Seit mein Kind in der Pubertät ist, weiß ich, warum manche Tiere ihre Jungen fressen.«

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