Topseller des Tages: VW-Currywurst
Von Felix Bartels
Die Currywurst hätte den Döner nicht überlebt. Konkurrenzarm in den Achtzigern noch an den Warmtheken der großen Städte, wäre es ihr ergangen wie dem Abakus beim Einfall der Taschenrechner. Allein, Tourismus und Authentizitätsflitz von Zuzüglern hielt sie in der Welt. Saubrät in Sautunke, das winzige Maß Knackigkeit im halbsüßen Stinkebrei verlierend, lässt sich von Leuten verzehren, die glauben, so was sei sich eben reinzuzwingen, wenn man nach Berlin kommt oder seit neuestem dort wohnt. Entgeistert schauen sie den nativen Berliner an, der ihnen gesteht, eine Currywurst nicht herunter zu bringen. Denn sie essen auch Nattō, wenn sie nach Japan kommen, oder diesen Kotzfisch, wenn es sie nach Schweden verschlägt. Vielleicht ist sie ja bloß deswegen noch da, die Currywurst – einfach, um Touristen zu quälen. Berliner Hass kann episch sein.
Da mochte Grönemeyer sich die Seele aus dem Leib ruhrdeutschen: Kommste vonne Schicht usw. – wer ihn für derlei bezahlt hat, wird er uns kaum sagen. Die ertränkte Wurst, der Sage nach in Berlin erfunden, war da längst nach Westfalen exportiert. Und wie der Betriebsrat von Volkswagen am Montag bekanntgab, markierte die VW-Currywurst 2024 einen neuen Absatzrekord: 8,552 Millionen Stück wurden in Kantinen und Supermärkten verkauft. Auch gegessen?
Es scheint nämlich noch einen zweiten Umstand zu geben, der das nicht essbare Essen reüssieren lässt. Zum Tourismus gesellt sich Kulturkampf. Am Imbissstand zeigt man jene Klassenzugehörigkeit, die man politisch verleugnet. Gerhard Schröder fasste das in die bezeichnenden Worte, die Currywurst sei der »Kraftriegel des Facharbeiters in der Produktion«. Schröder, Mann des Volkes, Genosse der Bosse. Sein Parteibruder Steinbrück dagegen hatte die Wahl verloren, als er gestand, einen Pinot Grigio für unter fünf Euro nicht trinken zu können. Zu ehrlich fürs Geschäft.
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