Ungesunde Schrumpfkur
Von Dieter Reinisch
Das britische Gesundheitswesen (National Health System, NHS) ist seit Jahren in der Krise: monatelanges Warten auf Termine, Personal, das zu Dumpinglöhnen Höchstleistungen bringt und darum drastisch überarbeitet ist oder das NHS verlässt, sprich Personalnot. Während der Coronakrise brach es gänzlich zusammen. Aus dem resultierenden Elend kommt es seitdem nicht heraus: Im Januar mussten die meisten Spitäler des Landes wegen einer Grippewelle abermals auf Notbetrieb umstellen.
Der britische Premierminister Keir Starmer und seine sozialdemokratische Labour-Partei waren mit großen Plänen in den Wahlkampf gestartet: Die Wartelisten wollten sie halbieren, mehr Mediziner einstellen, die NHS-Krise rundum lösen. Umgesetzt wurde davon bisher wenig. Indessen zaubert der Gesundheitsminister Wes Streeting regelmäßig neue Pläne aus dem Hut. Sein neuester Wurf: Statt wie versprochen die Wartelisten zu halbieren, wird rigoros gespart und dafür der Bestand des administrativen NHS-Personals halbiert.
Ziel der Umstrukturierung, bei der 6.500 von derzeit 13.000 Stellen gestrichen würden, sei es, »Doppelbesetzung und Überlappungen mit dem Gesundheitsministerium« zu verhindern, erklärte Streeting am Montag. Dadurch solle Steuergeld gespart werden, das dann an anderer Stelle in die medizinische Betreuung fließen könne, so zumindest das Versprechen des Gesundheitsministers. Insgesamt sollen langfristig 175 Millionen Pfund Sterling (208 Millionen Euro) an Personalkosten eingespart werden.
Also wird neu strukturiert. So soll etwa NHS England, dem der konservative Gesundheitsminister Andrew Lansley im Rahmen einer Umstrukturierung des Gesundheitswesens 2013 mehr Autonomie einräumte, wieder enger an den Staat rücken. Labour plane, NHS England »viel näher an das Ministerium heranzuführen«, um »Ressourcen von der Zentralverwaltung auf regionale Gesundheitsbehörden umzuverteilen«, berichtete die BBC am Montag mit Verweis auf Regierungsquellen.
»Wir treten in eine Phase kritischer Veränderungen für unser NHS ein«, kommentierte Streeting die Pläne. Mit einer »stärkeren Zusammenarbeit zwischen Ministerium und NHS England« werde die Regierung »das Ausmaß der Herausforderung meistern«. Ab dem 1. April werde Jim Mackey als NHS-Interimsgeschäftsführer eingesetzt und als solcher »ein Übergangsteam« beaufsichtigen, das die »radikale Verkleinerung und Umgestaltung des NHS« durchsetzen soll, verkündete Streeting.
Noch während Streeting quacksalbte, traten drei der mächtigsten Direktoren des NHS zurück: Julian Kelly, Emily Lawson und Steve Russell. In einem Schreiben informierten sie am Montag morgen alle Mitarbeiter darüber, dass sie ihre Positionen »in den kommenden Wochen aufgeben werden«. NHS-Geschäftsführerin Amanda Pritchard schrieb ebenfalls, dass sie »im Angesicht bevorstehender Änderungen der Größe und Funktion« entschieden habe, »dass jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Rücktritt gekommen ist«. Zweifelsohne seien »die letzten Jahre die schwierigsten in der Geschichte des NHS« gewesen, wären »die kontinuierlichen Verbesserungen der Leistung und Produktivität des Gesundheitswesens« ohne »die unschätzbare Erfahrung, das Können und das Engagement« ihres Kollegiums nicht möglich gewesen, so Pritchard.
Einige dürften aufatmen. Der Vorstand des NHS hat sich in den von Arbeitskämpfen gezeichneten Jahren den Unmut vieler Belegschaften im britischen Gesundheitswesen zugezogen. Sie waren dafür verantwortlich, die harten Sparmaßnahmen der konservativen Regierungen gegen den Willen der Pfleger, Ärzte und des weiteren Personals umzusetzen. So hatte Starmers Vorgänger Rishi Sunak angeordnet, trotz Rekordinflation von rund 15 Prozent, keine Lohnerhöhungen von mehr als drei Prozent zu genehmigen. Dies führte schlussendlich zum größten Arbeitskampf in der fast 80jährigen Geschichte des NHS. Nur nimmt das Sparen offenbar auch unter Labour kein Ende.
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