Schwarz zu grau
Von Gerhard Hanloser
Der Grafiker A. Paul Weber (1893–1980) stammte aus Arnstadt in Thüringen. Dort ist ihm eine Ausstellung über den »Satiriker zwischen Kritik und Ruhm« gewidmet, die noch bis Mitte Mai im Schlossmuseum zu sehen ist. Viel Lob und Beachtung erhielt Weber in der Bundesrepublik für seine »Kritischen Kalender«, die ihn als anarchischen Zeitdiagnostiker erscheinen ließen, der mit Lithografie und Radierung Bürokraten, Ellenbogengesellschaft und mediale Verdummung hintersinnig attackierte. Es gab einen regelrechten Weber-Fanklub, auch in der politischen Linken. Der Elefanten-Press-Verlag und einige Schulbuchausgaben der 80er zeigten politische Bilder Webers aus den 30er Jahren als antifaschistische Warnungen vor Hitler und dem Nazismus. Die Grafik »Das Verhängnis«, auf der eine Masse von Menschen mit Hakenkreuzfahnen zu sehen ist, die einen kleinen Hügel empor marschiert, um schließlich in einem ebenfalls mit Hakenkreuz versehenen Sarg zu landen, ist ikonisch.
Ausgespart wurde dabei, in welchem Kontext diese Bilder standen. Weber gehörte Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre zum nationalrevolutionären Widerstands-Kreis um Ernst Niekisch. Dieser predigte ein antirömisch-protestantisches sozialistisches Preußentum, das im Bündnis mit der Sowjetunion nicht nur mit dem Versailler Vertrag, sondern mit dem gesamten Erbe des verbürgerlichten Westens mit seiner »Händlerideologie« brechen sollte. Hitler war da Konkurrent und Gegner, weil er zu römisch, zu bürgerlich, zu antisowjetisch, zu prokapitalistisch war. Für Niekisch sind wegen seiner eigenen völkischen und ultranationalistischen Grundposition (für die Antisemitismus nie zentral, aber strukturell gegeben war), Hitler und die NSDAP in erster Linie ein deutsches Verhängnis.
Sechs Zeichnungen hatte Weber 1932 zu Ernst Niekischs Broschüre »Hitler – ein deutsches Verhängnis« beigesteuert. Bereits in vorherigen Ausgaben der Zeitschrift Widerstand, die bis 1934 erscheinen konnte, ergänzten sich Text und Bild der beiden Herausgeber: Das völkisch-nationalistische Raunen Niekischs fand in den düster-dämonischen Bildern Webers die passende Entsprechung. Abrüstung dank Young-Plan? »Deutsche Selbstentmannung« – so heißt auch eine vielsagende Grafik Webers von 1930, die einen hasenfüßigen Deutschen auf einem Kanonenrohr sitzend zeigt, der dabei ist, sich des Rohrs mittels Schweißgerät zu entledigen. Im Zentrum des Nationalbolschewismus stand das Idealbild des soldatischen Mannes.
Ab 1934 begannen sich Weber und Niekisch voneinander zu distanzieren, bereits die dezidiert probolschewistische Haltung Niekischs war Weber fremd. Dies eröffnete dem Künstler – im Gegensatz zu Niekisch, der bis 1945 im Zuchthaus Brandenburg inhaftiert war und, nach seiner Übersiedlung in den Westen, als BRD-Bürger bis zum Tod auf eine Entschädigung warten musste – tatsächlich die Möglichkeit, in zwei Systemen eher weniger Kritik und mehr Ruhm einzuheimsen. Im Faschismus veröffentlichte Weber im Nibelungen-Verlag, der direkt dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels unterstellt war. Er durfte antibolschewistische Grafiken für Das Reich beisteuern. Dort war er neben Erich Ohser, der als o. e. plauen mit »Vater und Sohn« bekannt wurde, der Mann für die grafische Polemik gegen die Antihitlerkoalition. Eine Weber-Grafik von 1943 zeigt eine Person mit Gewehr, an dem ein Davidstern prangt. »Das ist Amerika«, so der Titel. Bereits 1930 hatte er das Buch »Literatenwäsche« des Antisemiten Wilhelm Stapel illustriert, worin Weber unter anderem Kurt Tucholsky als Laus mit krummen, haarigen Beinen karikierte.
Nach dem Krieg waren die Verantwortlichen der britischen Besatzungszone mit einer Ausstellung Webers einverstanden. Schließlich hätte jede Seite Propaganda betrieben. Er bekam in der BRD ein paar Kunstpreise und Medaillen, bevor er 1971 Professor wurde und das Große Bundesverdienstkreuz erhielt. Sehr spät, etwa in den 90ern, begannen Kritiker, über den zeichnenden Zeitgenossen aufzuklären, und wurden dafür weniger von Weber selbst als von seiner weitverzweigten Anhängerschaft aus der Kunstszene attackiert.
Betrachtet man nun die aktuelle Ausstellung in Arnstadt, so bewegt sie sich unterhalb des kritischen Wissensstands. Sie bietet einen Weber, der leicht konsumierbar ist. Ihr Augenmerk liegt auf den Nachkriegsfabelbildern. Besonders der Fuchs hatte es Weber angetan. Webers eigene List und Tücke, die darin bestanden, den Nazikontext seiner Kunst gekonnt zu beschweigen, finden keine angemessene Erwähnung. Manche Informationstafeln müssen sogar als Täuschungsmanöver gelesen werden. Kritische Hinweise kamen von couragierten Bürgern, ins Gästebuch ist ein Flugblatt eingeklebt, das – wenn auch in plakativ-anklagendem Ton – zumindest den ideologischen Hintergrund von Webers Schaffen verdeutlicht. Fragt man etwas herum, bekommt man zu hören, die Verfasser des Flugblatts seien nicht von hier, seien »Zugezogene«.
Für sachliche Einordnung sorgte am 28. Februar ein Vortrag des Göttinger Kunsthistorikers Thomas Noll im Schlossmuseum, der sich den sogenannten Britischen Bildern von 1941 widmete. Diese Entscheidung der Ausstellungskuratoren und der Leitung des Schlossmuseums verdient Lob. Noll machte deutlich, in welch enger Abstimmung mit Alfred Rosenberg und im Dienste der offiziellen Politik Weber seine 45 politischen Zeichnungen anfertigte. Diese zeigen satirisch-überspitzt das brutale Gesicht der englischen Klassenherrschaft und des britischen Imperialismus, die Massaker in Indien, Irland und während der Burenkriege. Deutlicher Antisemitismus fehlt hier interessanterweise. Die Nazis wussten eben auch mit der Wahrheit zu lügen. Denn vermeintlicher Antiimperialismus war bei den Nazis propagandistische Hetze gegen »Plutokraten«, um selbst eine viel aggressivere imperialistische Herrschaft durchsetzen zu können. In Briefen schrieb Weber, er bewege sich mit dieser Arbeit ganz »in alten Fahrwassern«, womit er wohl seine nationalrevolutionäre Zeit meinte. Tatsächlich lieferte er Kriegspropaganda, die sich auch gut zur Ausbildung hauptamtlicher HJ-Funktionäre in der Akademie für Jugendführung in Braunschweig eignete.
Weber hat dennoch viele Fürsprecher. Kunsthistoriker Noll resümierte, dass sich Weber in einer interessanten Grauzone bewegen würde – man müsse selbst überprüfen, wie hell oder dunkel man dieses Grau sehen wolle. Einen persönlichen Antisemitismus habe er nicht an den Tag gelegt, das bezeugten viele, die ihn kannten und das helle Grau bevorzugen. Weber illustrierte in den 60ern gesellschaftskritische Fabeln von Günther Anders, sprach sich gegen Remilitarisierung und Umweltzerstörung aus. Seine düsteren Bilder wie jenes vom Tod als Skelett, leichtfüßig mit einem Soldaten tanzend, wollte er als allgemeine Anklage des Krieges verstanden wissen. Der Dichter Peter Rühmkorf erklärte: »Was uns als junge Leute in die Nähe A. Paul Webers führte/zog, waren gemeinsame Antipathien gegen die Neuformierung einer scheinbar frei sich entwickelnden Wohlstandsgesellschaft…« Weber war irgendwie alles: Elitärer Anti-Bürger, propagandatreibender Volksgenossen mit gutem Salär, Bürgerschreck, Querkopf und zeichnender Phrasen- und Floskelproduzent nach dem Geschmack des Bürgers. So muss offen bleiben, wie sich Weber heutzutage positionieren würde. In seiner Geburtsstadt haben, wie in den meisten kleinen Gemeinden Thüringens, über 40 Prozent ihre Stimme der AfD gegeben.
»Zwischen Kritik und Ruhm. Der Satiriker A. Paul Weber und Arnstadt«, Schlossmuseum Arnstadt, bis 18. Mai 2025
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