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Aus: Ausgabe vom 15.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Altersarmut

Knüppel frei gegen Senioren

Argentinien: Proteste armer Rentner brutal angegriffen. Organisation spricht von gewalttätigster Repression seit 2001
Von Florencia Beloso, Buenos Aires
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Hochgerüstete Polizisten in Buenos Aires gehen brutal gegen Demonstranten vor (12.3.2025)

Man müsse »schon ein richtiger Scheißkerl sein, um einen Rentner nicht zu verteidigen«. Der Ausspruch von Argentiniens Fußballidol Diego Maradona beschreibt die neue Qualität der Repression gegen Proteste von Rentnern in der Hauptstadt Buenos Aires am Mittwoch. Die Ministerin für Nationale Sicherheit, Patricia Bullrich, hatte die Polizeikräfte nahezu ungezügelt auf die Versammlung losgelassen. In der Folge hatten sich die Demonstranten in mehrere Stunden andauernden Straßenschlachten gegen die Angriffe zur Wehr gesetzt.

Die Proteste der Rentner hatten im vergangenen Jahr begonnen, als der rechte Präsident Javier Milei die Zustimmung des Nationalkongresses zur Erhöhung der Altersrente mit seinem Veto blockiert hatte. Wie mittlerweile jeden Mittwoch wollten sie vor dem Kongressgebäude im Zentrum der Hauptstadt demonstrieren, hatten aber in dieser Woche die Unterstützung von Fußballfans bekommen, die den verarmten Senioren zur Seite stehen wollten. Der bislang beispiellose Aufruf war spontan in den sozialen Netzwerken entstanden und wuchs als Reaktion auf die fehlende Unterstützung politischer Akteure wie des Gewerkschaftsdachverbands CGT und der Oppositionsparteien.

Die Mindestaltersrente beträgt in Argentinien aktuell 279.121,71 Pesos (etwa 241 Euro), zu der unregelmäßig ein Bonus von 70.000 Pesos (etwa 60 Euro) hinzukommt. Beinahe die Hälfte der älteren Erwachsenen bezieht sie aktuell. Doch der Betrag ist weit davon entfernt, die Grundbedürfnisse eines Rentners zu decken, kritisierte der staatliche Ombudsmann für ältere Menschen zuletzt. Demnach benötigt ein Rentner mindestens 1.200.523 Pesos, also gut 1.000 Euro pro Monat, um Grundkosten wie Wohnung, Lebensmittel und Versorgungsleistungen zu decken. Weniger als ein Drittel der geschätzten monatlichen Kosten werde von den Bezügen getragen. Die Regierung hat zudem die Bezuschussung einiger Medikamente gekürzt, für die früher eine 100prozentige Deckung bestand.

Seit mehreren Wochen machte die Polizei aus den wöchentlichen Protesten der Rentner Szenen der Misshandlung. Der Einsatz der Sicherheitskräfte am vergangenen Mittwoch schien jedoch einzig darauf vorbereitet zu sein, den Protest zu umzingeln und anzugreifen. Mit schwerwiegenden Folgen. So wurde der Fotograf Pablo Grillo notoperiert, nachdem ihm ein Tränengaskanister an den Kopf geschossen wurde. Die Konfrontation war offenbar im Interesse der Polizei: »Presse, von wegen!« hatte ein Polizist einen Journalisten angeschrien, der sich ihm gegenüber als solcher auswies. »Kommt schon, ihr Linken«, schallte es aus einem Fahrzeug der Stadtpolizei in Richtung der Demonstranten.

Ein Video eines Polizisten, der eine Rentnerin schlug und zu Boden warf, verbreitete sich am Mittwoch rasant im Netz. Tausende Menschen gingen in Stadtvierteln von Buenos Aires spontan auf die Straße, schlugen auf Töpfe und Pfannen und protestierten lautstark. Die Menschenrechtsorganisation Comisión Provincial por la Memoria (Regionale Gedenkkommission, jW) stufte das Vorgehen der Polizei als gewalttätigste Repression seit der Wirtschaftskrise vom Dezember 2001 ein. Demnach wurden bei den Protesten mindestens 672 Menschen verletzt, darunter Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Senioren, Frauen und junge Menschen. 114 Personen seien von Polizeikräften festgenommen worden, darunter ein 12jähriger Junge und mehrere unbeteiligte Personen.

Infolgedessen zeigte sich die offizielle Stellungnahme von Ministerin Bullrich gespickt mit unbegründeten und unbewiesenen Anschuldigungen. So sei die Gewalt von militanten Peronisten und Kirchneristen angezettelt worden, die die Regierung destabilisieren wollten. Aus dem Regierungssitz (Casa Rosada) hieß es, gewaltbereite Fußballfans (»Barras Bravas«) hätten die Konfrontation mit der Polizei gesucht. Die Organisationen und Demonstranten, welche die Rentner begleiteten, kritisierten hingegen, dass die Polizei die Proteste mit Zivilkräften infiltriert habe, um Teilnehmer zu fotografieren und zu überwachen.

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