Keynesianismus pervers
Von Lucas Zeise
Auf der berüchtigten Münchner »Sicherheitskonferenz« im Februar präsentierte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) eine Studie von einem gewissen Ethan Ilzetzki der London School of Economics mit dem Titel »Waffen und Wachstum: Die wirtschaftlichen Folgen steigender Militärausgaben«. Sie sollte sich als Blaupause für den revolutionären Plan der künftigen Bundesregierung Merz/Klingbeil erweisen, die »Schuldenbremse« zugunsten nach oben offener Rüstungsausgaben zu beseitigen.
Der Autor hatte sich geschichtlich umgesehen und wenig überraschend herausgefunden, dass Kriege und Aufrüstungsprogramme in der Geschichte des Kapitalismus fast durchweg durch die Aufnahme von Schulden finanziert worden waren. Er stellte außerdem völlig unideologisch fest, dass sich Rüstungsausgaben durch ihre stimulierende Wirkung auf die Wirtschaft im nachhinein zumindest zum Teil selbst finanzieren – mal schlechter, mal besser und jedenfalls dann, wenn von dieser Wirtschaft nach dem Krieg noch etwas übrig ist.
Diese »Selbstfinanzierung«, der sogenannte fiskalische Multiplikator, ist natürlich der reine Keynesianismus. Die Lehren des englischen Ökonomen John Maynard Keynes gelten in der deutschen Politik und Volkswirtschaftslehre aber als unrein. Besonders beim Kieler Institut, das die neoklassische Lehre vom immer sich von selbst einstellenden Gleichgewicht an freien Märkten seit vielen Jahrzehnten als Monstranz vor sich herträgt.
Ilzetzkis historische Rückschau kam deshalb wohl überraschend für die Kieler Wirtschaftsforscher. Als letztes der deutschen staatsfinanzierten Wirtschaftsforschungsinstitute erklärte auch Kiel die »Schuldenbremse« für obsolet und teilte Ende Februar trocken mit: »Um ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, sollten Deutschland und Europa Schulden aufnehmen und das Gebot eines ausgeglichenen Haushalts nachrangig behandeln.«
Dass auch Rüstungs- und meinethalben Infrastrukturkeynesianismus, dass also auch die ersehnte »Selbstfinanzierung« der Staatsaufgaben nur dann funktionieren, wenn dabei die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimuliert wird, bleibt schon als Gedanke bei den künftigen Koalitionspartnern tabu. Wachstumsimpulse für die Gesamtwirtschaft sollen laut dem Sondierungspapier der künftigen Koalitionspartner ganz im Stil von Merz’ Wahlkampf durch eine Senkung der Unternehmenssteuern erfolgen.
Es darf offenbar nicht zum Thema der Wirtschaftspolitik werden, dass die aktuelle Wirtschaftskrise schon das dritte Jahr andauert, weil die Reallöhne dank des Inflationsschubs 2021 bis 2023 immer noch unter dem Stand des Jahres 2019 liegen, die Inlandsnachfrage kümmerlich und die Produktionskapazitäten unterausgelastet bleiben. Als Übel erscheint es Politikern der alten und der neuen Koalition, wenn aus den ausnahmsweise erlaubten Sonderschulden auch etwas Positives fürs Budget der Geringverdiener abfällt. Die Senkung der Mehrwertsteuer für Gaststätten wäre so ein kleines Bonbon. Auch der Wohnungsmangel könnte durch staatliche Programme zum Wohnungsbau wie in den frühen Jahren der alten Bundesrepublik gemildert werden.
Die Neuentdeckung des Rüstungskeynesianismus ist in jeder Beziehung pervers.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.
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