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Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Arbeitsmigration in Japan

Frischzellenkur für Japan

Tokio verpasst der Wirtschaft ein neues Image, um Fachkräfte anzulocken. Doch die Hürden für mehr Migration sind hoch
Von Igor Kusar, Tokio
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Migranten gibt es bisher fast ausschließlich im Niedriglohnsektor: Vietnamesische Arbeiterin in Mitsuke

Ausgerechnet in Japan, das sich in seiner Geschichte auch schon mal mehr als 200 Jahre lang fast hermetisch gegen außen abgeschlossen hatte, ist Diversität in den vergangenen Jahren zu einem neuen Schlagwort geworden. Der Inselstaat versucht, sein Image eines Landes, dessen Arbeitskultur von älteren japanischen Herren dominiert wird, loszuwerden – so wenigstens die offizielle Version. Auslöser dafür ist vor allem die schrumpfende Bevölkerung. Die Größe der erwerbsfähigen Altersgruppe überschritt bereits 1995 ihren Zenit und befindet sich seither auf Talfahrt. In der vergangenen Woche hat die japanische Regierung neue Richtlinien herausgegeben, um die Weiterbildung von ausländischen Arbeitern zu Facharbeitern zu erleichtern. Der Plan soll 2027 zu greifen beginnen und das jetzige Traineeprogramm für Ausländer ersetzen, das wegen seiner miserablen Arbeitsbedingungen in der Kritik steht.

Etwas mehr als 3,5 Millionen Ausländer lebten Mitte vorigen Jahres im Inselstaat. Das sind zwar nur knapp drei Prozent der Bevölkerung Japans, doch die Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren um 70 Prozent nach oben geklettert. Noch deutlicher sieht die Zunahme bei der ausländischen Arbeiterschaft aus: Deren Volumen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht.

Viele Japaner begrüßen diese Entwicklung. Laut einer Umfrage von 2024 gaben rund 60 Prozent der Befragten an, die Ausweitung von Visa für ausländische Facharbeiter zu unterstützen. Doch Vorsicht: Dieser Zuspruch ist der Wirtschaft geschuldet; für die soziale Integration der Migranten fehlt der Enthusiasmus meist. Der tiefsitzende Mythos der japanischen Homogenität, der stets die durchaus existierenden Minderheiten ausklammerte, schwingt als Ideologie nach und spielt bei der Bildung der nationalen Identität und öffentlichen Politik immer noch eine Rolle. »Japan kennt als einziges Industrieland kein einfaches Arbeitsvisum«, erklärt Torii Ippei gegenüber jW. Er ist Koleiter des Hilfswerks »Ijuren«, das Ausländer in Japan unterstützt. Zugelassen seien nur Spezialisten wie Sprachlehrer oder Übersetzer. Da jedoch auch Japan einen Zustrom von einfachen Arbeitern brauche, habe man sich eines Tricks bedient, der für die heutige prekäre Jobsituation verantwortlich sei. Die konservative Regierung konnte es dadurch vermeiden, Japan klar als zukünftiges Einwanderungsland zu benennen – ein Versäumnis, das bis heute nachwirke, meint Torii.

1993 wurde ein Traineeprogramm eingerichtet, das Menschen aus Entwicklungsländern technische Fertigkeiten beibringen sollte. Doch die meisten Trainees werden von den Unternehmern lediglich ausgebeutet. Torii nennt es ein Sklavenprogramm: Die Trainees können ihre künftige Firma nicht frei wählen oder wechseln, verschulden sich bei der Bezahlung der Arbeitsvermittler übermäßig und malochen von früh bis spät bei kleinem Lohn. Die staatliche Arbeitskontrolle scheint kaum zu greifen. Beim oben erwähnten neuen, im Jahr 2027 startenden Programm werde sich grundsätzlich nicht viel ändern, befürchtet Torii.

Diese Trainees und die jobbenden ausländischen Studenten und Sprachschüler machen rund ein Drittel der Gastarbeiter aus und werden im von Einheimischen gemiedenen Niedriglohnsektor eingesetzt: Gastgewerbe, Einzelhandel, Bau oder Lebensmittelverarbeitung. Unfälle und Mobbing sind an der Tagesordnung, viele Trainees tauchen nach einiger Zeit unter.

2019 wurde die Aufnahme von ausländischen Facharbeitern erleichtert. Das Programm beinhaltet zwei Stufen. Die zweite Stufe schließt Niederlassungserlaubnis und Familiennachzug ein. Doch die Bestimmungen sind so streng, dass das Programm kaum genutzt wird. Trotzdem ist Torii mit Blick auf die Zukunft nicht nur pessimistisch. Japan könne von Europa und den USA lernen, um eine Zweiklassengesellschaft zu vermeiden. Vor allem auf der Ebene der lokalen Verwaltung versuche man, Ausländer am japanischen Leben teilnehmen zu lassen.

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