NHS England auf dem Sterbebett
Von Dieter Reinisch
Chronisch überlastete Kliniken, keine Arzttermine für Patienten, Hungerlöhne fürs Personal: Die Probleme im britischen Gesundheitswesen werden immer akuter. Die britische Labour-Partei ringt seit ihrer Regierungsübernahme darum, sie in den Griff zu bekommen. Überraschend kam daher die jüngste Ankündigung, die Behörde NHS (National Health System) England gänzlich abschaffen zu wollen. Weniger Staat, scheint die Devise des Premierministers Keir Starmer zu sein, die Gesundheitsausgaben sollen wieder direkt und ausschließlich vom Gesundheitsministerium getätigt werden.
Unklar ist, wie dies das britische Gesundheitswesen effizienter machen soll und ob dadurch tatsächlich gespart werden kann, um mehr Mittel für Krankenhäuser und Patienten zur Verfügung zu haben. Starmer hat kein konkretes Konzept vorgelegt. Der Schritt scheint daher überhastet, weil nur drei Tage zuvor Gesundheitsminister Wes Streeting angekündigt hatte, das NHS-England-Personal abzubauen und rund 6.500 Mitarbeiter zu kündigen.
Labour versucht, die Abschaffung des NHS als Schritt zur Verschlankung der Strukturen zu verkaufen, um eine bessere Versorgung für Patienten anbieten zu können. Doch viele sehen Parallelen zu den wohlfeilen Vorhaben in bezug auf die massiven Kündigungen bei US-Behörden durch die neue Regierung von Donald Trump, initiiert durch seinen Intimus, den Techmilliardär Elon Musk.
Die Rückführung des NHS England in die Zuständigkeit des Ministeriums für Gesundheit und Soziales innerhalb von zwei Jahren werde laut Starmer »die Doppelarbeit beenden, die durch die gleiche Arbeit der beiden Organisationen entsteht« – und dadurch mehr Geld in die medizinischen Dienste fließen lassen. In seiner Ankündigung versprach er auch, den Staat zu »verkleinern«, um ihn »agiler« zu machen, den öffentlichen Dienst zu verkleinern und die Zahl der regierungsnahen Organisationen zu reduzieren. Die Aussage Starmers klang, als habe er sich das Modell von Musks US-Behörde für Regierungseffizienz (DOGE) abgeschaut. »Hat Starmer gerade seinen eigenen populistischen Moment?« fragte das labournahe Nachrichtenportal Left Foot Forward am Freitag. Erwartungsgemäß feierten die rechten Medienhäuser Englands Starmers Ankündigung.
Aber Experten sind skeptisch, da Starmer keinen konkreten Plan zur Umsetzung veröffentlicht hat. Sarah Woolnough, Geschäftsführerin des unabhängigen Thinktanks King’s Fund, sagte: »Die wichtigste Frage ist, wie die Abschaffung des NHS England es den Menschen erleichtern wird, einen Termin beim Hausarzt zu bekommen, die Wartezeiten für geplante Behandlungen zu verkürzen und die Gesundheit der Menschen zu verbessern.« Bisher habe Starmer dies nicht erklären können, kritisierte sie. Woolnough merkte außerdem an, dass die potentiellen Kosteneinsparungen durch die Abschaffung des NHS England im Gesamtbudget des NHS, das 2025/26 immerhin 192 Milliarden Pfund Sterling (230 Milliarden Euro) betragen wird, »minimal« wären. Der vergangene Woche bekanntgegebene Plan von Gesundheitsminister Streeting hätte etwa gerade einmal 200 Millionen Euro Einsparungen gebracht.
Julia Patterson, Geschäftsführerin der Kampagnengruppe Every Doctor, witterte die Absicht der Willenslenkung: Sie befürchte stärkere politische Einflussnahme im medizinischen Bereich, die Nachricht von der Abschaffung des NHS England sei »für viele ein Schock« gewesen. Kritik kam auch vom Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands, Paul Nowak. Kürzungen, »wie es die Konservativen die letzten 14 Jahre gemacht haben«, seien keine Lösung, sagte er: »Eine wichtige Lehre aus den Tory-Jahren ist, dass Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich der Nation geschadet haben. Wir dürfen diesen Fehler nicht noch einmal machen.«
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