Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 19.03.2025, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Rote Karte

Eine internationale Fankampagne fordert die Suspendierung des israelischen Fußballverbands. In der BRD findet sie wenig Anklang
Von Raphael Molter
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Dalymount Park, Dublin, 3.3.2025

Seit über 18 Monaten führt Israel wieder einmal Krieg in den palästinensischen Gebieten, allen voran im Gazastreifen. Wieder einmal unter Verweis auf Sicherheits- und Territorialinteressen und unter Beobachtung der internationalen Öffentlichkeit. Die eh schon systematisch unterdrückte palästinensische Zivilbevölkerung wird vertrieben und getötet. Da nimmt es leider nicht wunder, dass zur traurigen Bilanz der »Militäraktion« in Gaza auch folgende Zahlen gehören: mindestens 382 ermordete Fußballerinnen und Fußballer, dazu über 200 weitere Sportlerinnen und Sportler, darunter knapp 100 Kinder und über 200 Jugendliche. Von den mehr als 140 zerstörten Fußballanlagen und ebenso vielen zerbombten anderen Trainingsanlagen ganz zu schweigen.

Und was macht der organisierte Sport? In sämtlichen internationalen Verbänden schweigt man sich seit Monaten zu den Verbrechen Israels aus, die offensichtlich auch die etwa in der IOC-Charta oder den FIFA-Statuten so vollmundig verkündeten Werte des Sports verletzen. Sanktionen gibt es nur sehr selektiv. Diese Praxis hat nun international Fußballfans auf den Plan gerufen. Nachdem bereits in den vergangenen Monaten einige Choreographien und Spruchbänder zum Gazakrieg und zur Verantwortlichkeit Israels Aufmerksamkeit erregt hatten (jW berichtete), rief schließlich die Ultrasgruppe »Green Brigade« von Celtic Glasgow zu koordinierten Protesten auf, ihre eigene Hilfsorganisation »Lajee Celtic« wird als Kampagnenplattform genutzt.

Mittlerweile fordern über 100 Fan­szenen aus über 30 Ländern und sechs Kontinenten, dass Israel symbolisch die rote Karte gezeigt wird: Es soll vom organisierten Sport suspendiert werden. Nichts Neues: Die Forderung wird bereits seit über einem Jahrzehnt – unter anderem von der BDS-Kampagne und vom palästinensischen Fußballverband – erhoben. Sogar eine FIFA-eigene Kontrollkommission kam 2015 zum Schluss, dass allein aufgrund der israelischen Siedlungspolitik eine Suspendierung notwendig sei.

Auf die Tatenlosigkeit der Funktionäre folgte nun die internationale Bewegung der Fans. Auch deutsche sind darunter: So bekundeten Ultras und andere Anhänger aus Jena und Gießen, als auch die Gruppe »Warriorz« (St. Pauli) Solidarität via Spruchband oder Graffiti. Dass das in der israelsolidarischen BRD für Aufruhr sorgt, war absehbar. So erklärte der deutsch-israelische Sportjournalist Felix Tamsut dem Tagesspiegel Ende Februar, dass die Bewegung antisemitische Stereotype verwende. Gemeint war, Israel in Anführungszeichen zu schreiben und die Schrift mit Bluttropfen zu unterlegen. So geschehen zum Auftakt der Kampa­gne durch die Ultras von Celtic Glasgow, die in ihrer Kurve am 12. Februar beim Champions-League-Hinspiel gegen den FC Bayern München mit roten Karten »Show Israel the Red Card« forderten. Es war nicht das erste Mal, dass die Celtics-Ultras ihre propalästinensische Haltung kundtaten – hierzulande offenbar unverständlich, daher die routinierte Diffamierung als antisemitisch.

Sobald der vermeintliche Antisemitismus erst mal gefunden ist, lässt sich zum wiederholten Male von einer Spaltung der deutschen Fußballultras in Sachen »Nahostkonflikt« schreiben – ohne dass eine inhaltliche Debatte dazu zu erkennen wäre. Ein Großteil der hierzulande organisierten Fans hat dafür viel zu viel Respekt vor einer radikalisierten Staatsräson, um sich – auch noch in Ausübung eines Hobbys, das dem eigenen Anspruch nach unpolitisch sein soll – zu so einem »heißen Thema« zu positionieren.

Die deutschen Fanszenen bleiben also verhältnismäßig still. Wer das verstehen will, sollte sich nicht zu sehr an der Unterscheidung zwischen einigen wenigen linken, aber eben auch teils antideutsch geprägten Fanszenen und den handverlesenen emanzipatorischen Ultras, die Antikolonialismus als Teil ihrer DNA verstehen, aufhalten. Es geht vielmehr um die Frage, ob Fußball ein reines Freizeitvergnügen und Ablenkung vom nervigen Arbeitsalltag ist oder auch ein Raum für die eigene Befreiung. Je nachdem, wie und mit welcher Ernsthaftigkeit man sie beantwortet, werden andere Positionen vertreten – auch zum Israel-Palästina-Konflikt. Der Fußball und seine Fankultur vertragen eine antikoloniale Perspektive, die die alltäglichen Kämpfe um »Brot und Rosen« im internationalen Maßstab mitdenkt. Der Kampf um Befreiung endet nicht im eigenen Stadion, er fängt dort erst an.

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