Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 11 / Feuilleton
Ernährung

Verhungern und verfetten

Danke, Kapitalismus: Die einen sterben an zu wenig, die anderen an zu viel Essen
Von Hagen Bonn
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»Billiger Zucker, Füllstoffe, Salz, Fett und Geschmacksverstärker sind die Zaubermittel«

Addiert man alle Menschen weltweit, die hungern, und jene, die übergewichtig oder gefährlich übergewichtig (adipös) sind, kommt man auf circa drei Milliarden Betroffene. Die wissenschaftliche Fachzeitschrift The Lancet hat ihre Zahlen zu Übergewichtigen aus der Studie »GBD 2021 Adolescent BMI Collaborators«, die 1.350 Datensätze aus 184 Ländern und Regionen auswertete. Systemisch schuld: der sich in Dauerkrisen windende Spätkapitalismus. Krieg und Verwüstung beeinträchtigen immer Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz zählte 2024 »über 120 bewaffnete Konflikte, an denen über 60 Staaten und 120 nichtstaatliche bewaffnete Gruppierungen beteiligt« waren.

Die andere Seite der Extreme sind die Übergewichtigen. Emmanuela Gakidou, Hauptautorin der genannten Studie, sagt: »Die beispiellose globale Epidemie von Übergewicht und Adipositas ist eine tiefe Tragödie und ein monumentales gesellschaftliches Versagen.« Amnesty International dokumentiert dazu perfide Praktiken: »In Brasilien hat die Fast-Food-Industrie Strategien erprobt, um sich im globalen Süden auszubreiten: Der Weltkonzern Nestlé setzt auf Tausende Verkäuferinnen, die mit ihren Handkarren durch die Slums ziehen und Chips, süße Frühstücksflocken, Milchpulver und Kekse anbieten. Wer gerade kein Geld hat, kann anschreiben lassen.« Die Forscher prognostizieren: Bis 2050 werden knapp 360 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 24 Jahren an Adipositas leiden. Das sind ein Drittel weltweit.

Auch zwei von drei Deutschen sind zu dick. Die Risiken: u. a. Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Störungen und chronische Atemwegserkrankungen. Dazu kommen psychische Folgen, besonders bei Kindern und Jugendlichen: mangelhafte schulische Leistungen und eine beeinträchtigte Lebensqualität durch Stigmatisierung, Diskriminierung oder Mobbing. Selbst Menschen, die nicht übergewichtig sind, ernähren sich keineswegs gesund. Das ist heute teurer und verlangt oftmals Fachwissen. »Hochverarbeitete« Lebensmittel stapeln sich in den Regalen der Anbieter bis an die Decke. Billiger Zucker, Füllstoffe, Salz, Fett und Geschmacksverstärker sind die Zaubermittel. Sie schaden uns, nutzen aber der Lagerlogistik, also dem Kapital. Was zu beweisen war.

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