Der Avantgardist
Von Gerd Schumann
In einer Fernsehsendung von 1968 trägt Dieter Süverkrüp »Die erschröckliche Moritat vom Kryptokommunisten« vor, eines seiner bekanntesten Lieder. Natürlich versteht das Fernsehpublikum die beißende Satire auf die allgemein verbreiteten, seit Jahrzehnten gepflegten Klischees des Antikommunismus – das »Mongolengesicht«, den Wodka zum Frühstück, die »Unterwanderstiefel«, in denen der schlitzohrige Untertagwerker sogar die katholische Betschwester vom »Weltfrieden« überzeugt.
Beifall im Studio, Kameraschwenk auf einen weiteren Gast, wir erkennen einen begeisterten Hannes Wader, neben »Gründungsvater« Süverkrüp, Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey ein weiteres Urgestein einer noch taufrischen Liedermacherbewegung. Der gesellschaftliche Umbruch, an dem sie mitwirken, spiegelt sich medial sogar im öffentlich-rechtlichen TV.
Doch das hält nicht lange. Gute zwei Jahre später hat Süverkrüp die Musik beigesteuert zu »Rote Fahnen sieht man besser«, dem preisgekrönten Klassiker des politischen Dokumentarfilms über den Widerstand gegen eine von BASF und Dow Chemical angekündigte Werkschließung. Süverkrüps »Phrix-Lied« landet nach der Erstausstrahlung auf dem Index. Die Kulturszene sei an die »Grenzen westlicher Narrenfreiheit« gestoßen, wertet Christopher Heimer (WDR 5, 17.3.2025). Die Gewaltigen aus den Programmdirektionen reagieren auf die politischen Turbulenzen inzwischen restriktiv.
Süverkrüp, »absoluter Linksaußen der deutschen Liedermacher« (WDR), Kommunist, lange Mitglied der DKP, pflegt seinen Sprachwitz weiter, schnell und klug vorgetragen, Texte von intellektueller Schärfe, virtuoses Gitarrenspiel. Wer gerade heute, in unsicheren Zeiten, erfahren möchte, wie »kulturelle Dominanz« entstehen kann, sollte sich mit ihm beschäftigen. Schließlich spiegelt sich in seiner Biographie eine besondere Zeitenwende, während der sich unvermutet Kräfte entfalten, die dazu in der Lage gewesen wären, eine unerschütterlich scheinende Ordnung nicht nur in Frage, sondern grundsätzlich zur Disposition zu stellen.
Insofern ist der Künstler Süverkrüp viel mehr als einer jener jungen Musiker, die in den 1960ern auf sich aufmerksam machen. Er wird zum Chronisten und zugleich Avantgardisten einer Zeit, die mit »’68« nur unzureichend gekennzeichnet ist. Jedenfalls, soviel steht fest, musste ein in jeder Beziehung frostiges Klima, genannt »Restauration«, recht schnell einer Hitze weichen, die widerständige Ideen freisetzen kann, wenn sie größere Teile der Gesellschaft erfasst.
Süverkrüp, ein vielseitiges künstlerisches Talent, Studierender an der Düsseldorfer Werkkunstschule, 1957 gekürt zum besten Amateurjazzgitarristen (West-)Deutschlands, widersetzt sich jener vorgegebenen, öden wie hinderlichen Gängelei des Denkens und Schaffens. Als Kind, geboren am 30. Mai 1934, hat er die Schrecken des Krieges kennengelernt und verinnerlicht. Die Remilitarisierung der BRD wird bei ihm zwangsläufig zu einem roten Tuch, ein damit verbundener Antifaschismus zur Notwendigkeit. Verändern muss man selbst, denkt er, und macht einfach, was er machen muss.
Die ersten Ostermärsche begleitet er mit Selbstverfasstem, mit traditionellem Liedgut der Arbeiterbewegung und bürgerlicher Revolutionen. Vermittelt hat es ihm Gerd Semmer, der westdeutschen Pionier internationaler Forschung in diesem Bereich. Der übersetzt die aufständischen Gesänge der französischen Revolution. »Ça ira« wird später als Album in dem von Süverkrüp, Arno Klönne und Frank Werkmeister gegründeten Pläne-Verlag erscheinen. Pläne ist auf dem Weg, eine kulturelle Institution der Linken zu werden, was nicht zu ahnen war: Hanns Dieter Hüsch und Süverkrüp, die keine Plattenfirma für ihre Werke finden konnten, hatten zunächst die Vinylscheiben aus der heimischen Küche heraus selbst vertrieben. Inzwischen spielen sie auf dem die Szene prägenden Festival auf der Burg Waldeck.
In der zweiten Hälfte der Sechziger boomt mit dem Widerstand gegen Notstandsgesetze und Vietnamkrieg eine neue Kultur. Die Liste der Künstler, mit denen Süverkrüp zusammenarbeitet, wird lang und länger. Die 1966 entstandene Kabarettpolitrockgruppe Floh de Cologne gehört dazu, mit Hüsch, Degenhardt und Wolfgang Neuss bildete er das »Quartett 1967«.
Ehrgeizige Projekte werden angestoßen, es geht voran, auch künstlerisch, »Und fröhlich isst du Wiener Schnitzel« heißt seine erste, nicht älter werdende LP von 1965, die »Widerborstigen Gesänge« entstehen 1967 – für diese wird er in der BRD den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten, allerdings erst zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung. Was wiederum sehr viel, vielleicht so ziemlich alles über jene Jahrzehnte nach ’68 erzählt, in denen vieles zerbröselt, und der Gegner schließlich als i-Tüpfelchen auf seinem Sieg über den kulturellen Aufbruch seine geistig-moralische Wende verkündet.
Weit vorher hat sich Süverkrüp auf neues Terrain begeben, hat mit seinem zweieinhalbjährigen Sohn Ben den »Baggerführer Willibald« entwickelt, ein Evergreen unter den Kinderliedern, für das Musical für Kinder »Das Auto Blubberbumm« steuert der Jazzer Wolfgang Dauner die Musik bei. In der DDR, die Süverkrüp als sozialistischen Staat schätzt und verteidigt, tritt er nicht nur beim »Festival des politischen Liedes« auf, sondern wird mit dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet.
Seine letzte LP mit eigenen Songs erscheint 1980. Im Titel »Soweit Alles Klar!« liegen bereits wachsende Zweifel, 1988 gibt er sein Abschiedskonzert, und spätestens mit dem Ende der DDR wird ihm klar, dass vieles nicht gestimmt hatte, was zu stimmen schien. Er besann sich auf seine alte Leidenschaft, die Bildende Kunst, das Malen, Radieren, viele Jahre hatte er früher als »Art Director« sein Geld verdient, manche unverwechselbaren Plattencover gestaltet, legendär seine Grafiken für Lok Kreuzbergs »Fette Jahre« und Zupfgeigenhansels Album mit jiddischen Liedern. Kunstausstellungen, aber auch eine musikalische Werkschau, verbunden mit vereinzelten Auftritten, kennzeichnen sein Schaffen im neuen Jahrtausend.
Dieter Süverkrüp hat Spuren hinterlassen, von denen viele und vieles bleiben wird – und hoffentlich auch sein »Glauben an eine Gesellschaft von freien, wachen und antikapitalistischen Menschen«, so Regina Goldlücke in der Rheinischen Post aus seiner Heimatstadt Düsseldorf. Am 16. März verstarb der Künstler im Alter von 90 Jahren.
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