Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Krautrock

»Als Schreiber darf ich chaotisch sein«

Was passt alles ins Gedicht? Über das Texten zur Musik. Ein Gespräch mit Tom Redecker
Von Frank Schäfer
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»Die Ideen kommen halt« – Tom Redecker

Tom Redecker alias The Perc ist ein vielbeschäftigter Mann, er ist Musiker, Produzent, macht Promo-Arbeit mit seiner Firma Shack Media und betreibt das Label Sireena Records, das sich auf Spurensuche in der Rockgeschichte begibt und sich mit Wiederveröffentlichungen von Atomic Rooster, Grobschnitt, Nektar, Straight Shooter, Octopus etc. einen Namen gemacht hat. Redecker kommt ursprünglich aus der prosperierenden Bremer Kassettenszene und gründet Ende der 80er mit Emilio Winschetti The Perc Meets The Hidden Gentleman. Für eine Weile sind sie mit ihren opulenten Krautrock-Adaptionen das nächste große Ding, aber sie weigern sich entschieden, die Indie-Szene zu verlassen. Anschließend führt er als Kreativdirektor The Electric Family an, einen losen Musikerverbund aus Krautrock-Allstars, nimmt mit dem Elektronik-Projekt Taras Bulba, der Psych-Rock-Kollaboration Sun Temple Circus und solo als The Perc diverse Alben auf. Zuletzt erschienen in kurzer Folge zwei Bücher mit »Poems & Songs«, »The Electric Kindergarten« und »Gull Sweat« und gerade erst eine weitere Sammlung mit Archivaufnahmen.

Peter Hein von den Fehlfarben erzählt gern von seinem Pragmatismus beim Schreiben von Lyrics. Es wird ein Text gebraucht, also setzt er sich hin und schreibt was auf, oft erst kurz vorm Studiotermin. Bei dir ist es anders, oder? Was ist dein Ansatz?

Du hast recht, so arbeite ich nicht an Texten, aber Emilio »The Hidden Gentleman« arbeitet teils auch so wie Kollege Hein. Ich kann mich an Studioaufnahmen mit The Perc Meets The Hidden Gentleman erinnern, wo ich mich bereits mit der Musik im Endstadium befand, und Emilio noch in der Küche saß, um seinen Text zu dem frisch aufgenommenen Sound zu verfassen und später einzusingen. Bei mir kommt allerdings der Text zuerst. Oft sind es Ereignisse aus TV oder Zeitung, die mich inspirieren, auch Erinnerungen und Gespräche. Ich halte viel fest, schreib es auf Papierfetzen, Blöcke, früher auch gern auf Bierdeckel. Wenn ich dann am Klavier sitze oder mit der Gitarre rumklimpere werden aus den festgehaltenen Schriften in manchen Fällen fertige Songtexte, zu denen mir hoffentlich die passende Melodie einfällt. Es ist dann immer wieder ein Glücksmoment, wenn sich Lyrics und Musik finden. Erzwingen kann ich das nicht, es passiert dann einfach.

Du hast mal erwähnt, dass die berühmte »ACID«-Anthologie von Brinkmann/Rygulla, in der die beiden die US-Underground-Literatur der späten 60er vorstellen, dich maßgeblich beeinflusst hat. Warum?

Es war diese völlig neue und mir unbekannte Erzählsprache, die mich als jungen Teenager angefixt hatte. Die Texte waren direkt, geradezu pornographisch, dabei zärtlich, wortgewandt und geheimnisvoll vom Anfang bis zum Ende. Man tauchte in ein völlig neues Universum ein, der Abwechslungsreichtum dieses Buches erschlug einen geradezu und machte süchtig. Geschichten, Poems, Comics – ein Goldrausch! Ich kannte das vorher so nicht. Natürlich füllte sich mein Buchregal danach mit den Werken von Bukowski, Burroughs und Ginsberg. Die naheliegende Verbindung mit der damaligen amerikanischen Rockmusik tat ein übriges. Die Interviews z. B. mit Zappa und den Fugs in »ACID« brachte mir auch ihre Musik näher. Es war eine Win-Win Situation, und ich liebe dieses Buch noch heute. Es ist zeitlos!

Das Psychedelische oder Halluzinatorische spielt in deinen Texten bisweilen eine Rolle. Die Texte sind oft ziemlich expressiv. Nimmst du was beim Schreiben, um die Wortbremse zu lösen?

Die Frage bekomme ich auch nach Konzerten gern gestellt. Aber sorry, ich bin pudertrocken. Ich trinke seit 25 Jahren keinen Alkohol, rauche seit 30 Jahren nicht mehr, weder Nikotin noch Grass. Drogen haben mich nie sonderlich interessiert, ich habe sie auch nie gebraucht, um kreativ zu sein. Früher habe ich literweise Kaffee getrunken, daher auch mein Pseudonym »The Perc« – von Percolator gleich Kaffeemaschine. Aber auch diese Zeiten sind vorbei.

Das überrascht mich etwas, denn es sind neben eingängigen Liebesliedern auch sehr rätselhafte Texte darunter. Manchmal lesen sie sich wie Traumprotokolle, manchmal auch wie Übungen in automatischem Schreiben, so als wolltest du das Unterbewusstsein anzapfen. Gibt es bestimmte Techniken, die du beim Produktionsprozess gern verwendest?

Bestimmte Techniken nein. Die Ideen kommen halt. Es gab Zeiten, da habe ich gern in Straßencafés gesessen und einfach nur die Leute beobachtet. Dazu habe ich mir in einem Ringheft, das ich immer bei mir hatte, Notizen gemacht oder gleich ganz Textzeilen aufgeschrieben. Diese Art des Schreibens mag ich ganz besonders.

Aber deine Sujets sind ja vielfältiger. Da gibt es eine Gothic-Gespenstergeschichte vom Haus im Moor, eine Perry-Rhodan-Hommage, Sci-Fi-Szenarios, dann aber auch eine Elegie auf den Tod einer Obdachlosen oder ein Chanson über das Schicksal einer Prostituierten. Du glaubst noch an das alte Frank-O’Hara-Diktum, scheint mir, wonach buchstäblich alles Platz finden kann im Gedicht.

O’Hara war großartig, und natürlich gibt es auch einen Beitrag von ihm bei »ACID«. Leider auch viel zu früh verstorben. Ich würde nie wagen, mich mit ihm zu vergleichen, doch es gibt einen deutlichen Unterschied. O’Hara galt als extrem ungeordnet, im Grunde ein Messie, der nichts wiederfand. Ich bin das Gegenteil, habe meine Ordnungen und werde schon nervös, wenn ich länger als zehn Sekunden nach etwas suche. Jedes Poem hat einen Anfang und ein Ende, und dazwischen kann so viel passieren, was nicht unbedingt offensichtlich zusammenhängt. Doch es gibt Zusammenhänge. Ich wechsele auch mal gern von der Gegenwart in die Vergangenheit und umgekehrt innerhalb eines Textes. Ich mag Science Fiction, Horror, B-Movies, Geschichte und bringe immer mal wieder Themen aus diesen Sujets in meinen Texten unter. »Three Miles to Roswell« ist so ein Text, wo Aliens und Wernher von Braun mit Skorpionen zusammengeführt werden, die größere Schatten als Mäuse werfen. Warum? Keine Ahnung. »Lizard Land« ist ein Road Movie durch den nordamerikanischen Südwesten, wo Beweise für den Aufenthalt von Wikingern in dieser Gegend auftauchen. Völlig irre, aber als Schreiber darf ich chaotisch sein, als Mensch bin ich es eher nicht.

The Perc: »Chapters & Suites. Electric Kindergarten Vol. 10« (Tribal Stomp)

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