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Aus: Ausgabe vom 22.03.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Böse und gefährlich

Der Dokfilm »Becoming Led Zeppelin« wirft einen freundlichen Blick auf die Frühgeschichte der Hard-Rock-Legende
Von Frank Schäfer
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Tight, ehrgeizig, keine Faxen: Led Zeppelin

»Becoming Led Zeppelin« beginnt recht bieder mit nostalgischen Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an frühe musikalische Vorbilder, Lonnie Donegan, Little Richard, James Brown und Gene Krupa, und natürlich erzählen alle brav, wie sie ihr Instrument gefunden haben. Richtigen Schwung entwickelt der Film erst, als der junge Session-Gitarrist Jimmy Page die Nase voll hat von den Popschnulzen, denen er im Studio zu Chartplätzen verhilft, unter anderem Shirley Basseys »Goldfinger«, und bei den Garagenrockern The Yardbirds einsteigt. Dummerweise sind die bereits in Auflösung begriffen. Page liebt die Liveshows und sucht hektisch nach neuen Leuten, denn da sind noch ein paar Auftritte in Skandinavien offen. Ein Bekannter schleppt ihn mit zur Band of Joy. Ihr Frontmann Robert Plant ist ein junger Schönling und »kreischender Irrer«. Der Schlagzeuger überzeugt ihn nicht minder. John Bonham hat den Groove, die Technik und die nötige Athletik. Als dann auch noch sein alter Session-Kombattant John Paul Jones am Bass von seinen Plänen hört, neue Yardbirds ins Rennen zu schicken, kann es losgehen. Sie treffen sich in einem Londoner Kellerloch unter einem Plattenladen, in den kaum ihre Instrumente hineinpassen, aber nach einer mörderischen Version von Johnny Burnettes »Train Kept a Rollin’« ist alles klar.

Sie gehen zusammen auf die noch ausstehende Tour, aber mit den Yardbirds hat das nichts mehr zu tun. Sie sehen aus wie langhaarige Bombenleger und klingen auch so. Als Reaktion auf die zunehmende Intellektualisierung, Politisierung und Verschwurbelung der Popmusik Ende der Sechziger halten sie die Erinnerung an die triebgesteuerten frühen Tage des Rock ’n’ Roll wach. Regisseur Bernard MacMahon und Produzentin Allison McGourty vermitteln einen ziemlich authentischen Eindruck davon, wie Led Zeppelin auf das zeitgenössische Publikum gewirkt haben. Sie sind böse, gefährlich und unberechenbar. Der praktizierende Okkultist Page gibt mit schiefem Grinsen den Zeremonienmeister. Seine theatralische Gestik erinnert mal an den Dirigenten eines Orchesters, mal an einen heidnischen Magier. Und wenn er mit dem Geigenbogen bei der rituellen Messe »Dazed and Confused« diabolisch schöne Obertöne aus seiner Fender Telecaster heraussägt, ist allen klar, dass er nicht in den Himmel kommt. Mit dem blonden Engelshaar und dem durchsexualisierten Bühnenhabitus verkörpert Robert Plan das Kontrastprogramm – das Versprechen, dass man hienieden auch eine Menge Spaß haben kann. Das glaubt man ihm sofort. Bei einem Livebesuch der Radioshow des legendären DJs Wolfman Jack dürfen Fans anrufen, um mit der Band ein paar Worte zu wechseln. Es sind vor allem Frauen, die Plant an die Wäsche wollen.

Im Herbst 1968, zwei Wochen nach der Skandinavientour, haben sie bereits einen Termin in den Olympic Studios, da bleibt wenig Zeit für Neukompositionen. Der Opener gibt die Richtung vor, »Good Times Bad Times« ist ein Heavy-Riffer mit eingängigem Chorus und gleißenden Leadgitarren, »Dazed and Confused«, »Communication Breakdown« und »How Many More Times« kombinieren Brachialität mit kompositorischem Ideenreichtum, das restliche Material besteht aus umarrangierten, auf die eigenen exaltierten Bedürfnisse zugschnittenen Blues- und Folk-Standards.

Grant und Page fliegen mit dem fertigen Album im November in die USA, um bei den dortigen Labels vorzufühlen. Atlantic-Produzent Jerry Wexler will sie unbedingt und zahlt, ohne Led Zeppelin je live gehört zu haben, einen ansehnlichen Vorschuss von 110.000 US-Dollar für die weltweiten Vermarktungsrechte am Debüt. Auf der anschließenden Tour mit Vanilla Fudge, Taj Mahal und Country Joe and The Fish erobern sie die USA zum ersten Mal.

Sie sind als Support gebucht, entpuppen sich aber schnell als die eigentliche Attraktion. Das von ordentlich Airplay angefixte Publikum sieht eine Band, die ihre Konkurrenz mehr als einmal deklassiert. Led Zeppelin sind tight, ehrgeizig, vor allem machen sie keine Faxen. Während andere sich bitten lassen, erfüllen sie ihren Unterhaltungsauftrag vorbildlich. Sie kommen pünktlich auf die Bühne und erschöpfen das Publikum mit einem Set aus rabiat inszenierten Blues-Standards, Yardbirds-Klassikern, ihren wenigen Eigenkompositionen und ausgedehnten Instrumental-Exkursionen.

Zurück in England, euphorisiert von dem Beutezug in Übersee, erscheint ein Totalverriss im Rolling Stone. Die Band fühlt sich verraten von der Musikkritik und hält sie sich von nun an aggressiv vom Leib. In den USA geht es sowieso ohne, weil die unabhängigen FM-Radios sie rauf und runter spielen und ihr Debüt damit in die Billboard-Charts befördern. Bereits im Mai 1969 erreicht das Album Goldstatus mit 500.000 verkauften Exemplaren. »Was kann danach noch kommen?« grinst Robert Plant verschmitzt in die Kamera, weil alle wissen, dass die Erfolgsgeschichte der Band noch ein paar Steigerungsformen mehr kennt.

»Becoming Led Zeppelin« macht nicht den Fehler anderer Musikdokumentationen, die sich mit kurzen Sound-Schnipseln begnügen. MacMahon und McGourty spielen wenige Songs, aber die zumindest aus. Was sie vermissen lassen, ist jede kritische Distanz. Die vier Musiker, also die drei Überlebenden Page, Plant und ­Jones und der 1980 verstorbene John Bonham mit einem Interview aus den Siebzigern, sind die einzigen, die hier zu Wort kommen. Zeitzeugen, Freunde, Verwandte bleiben genauso außen vor wie Kritiker und Kollegen. Led Zeppelin erzählen ihre Sicht der Dinge, sympathisch, humorvoll, aber auch bemüht, keinen einzigen Misston stehenzulassen. Es ist eine aalglatte Hagiographie geworden, die den ganzen Backstagewahnsinn komplett ausblendet.

Wer sich für die Abgründe interessiert, mag das in der gerade erschienenen Biographie von Bob Spitz nachlesen. Der schnelle Ruhm macht sie eine Weile tatsächlich böse. Einem offenbar völlig derangierten Groupie schieben sie einen Babydornhai in die Vagina, sie lassen sich demonstrieren, wie eine Frau von einer dänischen Dogge besprungen wird, zu ihren bevorzugten Gespielinnen gehören 13- und 14jährige Mädchen, und eine Reporterin kann sich nur mit viel Glück vor Bonzo und seiner versoffenen Horde in Sicherheit bringen, die ihr das Kleid vom Leib reißen und sie anschließend vergewaltigen wollen. Man lässt sie gewähren, weil das kommerzielle Potential dieser Band noch längst nicht ausgeschöpft ist. – Jetzt will es mal wieder keiner gewesen sein.

»Becoming Led Zeppelin«, Regie: Bernard MacMahon, GB/USA 2025, 121 Min., bereits angelaufen

Bob Spitz: Led Zeppelin. Die Biographie. Aus dem Englischen von Heinz Rudolf Kunze. Reclam-Verlag, Stuttgart 2025, 798 Seiten, 48 Euro

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