Musik für eingebildete Kranke
Von Andreas Schäfler
Dass die schönen Künste sich nicht einfach wahlweise in Gaudi oder Erhabenheit erschöpfen, sondern auch mit Konfrontationen und Zumutungen aufwarten, macht sie in der immer komplizierteren Welt so unverzichtbar. Und was für ein Fest, wenn Bild und Ton und Text sogar mal all unsere sieben Sinne beanspruchen! Genau darauf legt es Alabaster DePlume an, der am liebsten in möglichst vielen Disziplinen gleichzeitig antritt, und zwar als mehrfachbegabter Querulant. Das geht schon beim übergeschnappten Künstlernamen los, mit dem sich der 1980 oder 1981 (keine Chance zur Selbststilisierung bleibt ungenutzt) in Manchester geborene Sänger, Dichter, Multiinstrumentalist, Produzent und Spoken-Word-Artist Angus Fairbairn gebrandet hat: Achtung, ich bin ein richtig schräger Vogel!
Dabei weiß der Mann inzwischen einfach ziemlich gut, welche Knöpfe er drücken muss, um sich als superfluide Szenefigur im Gespräch zu halten. Auf dem neuen Album »A Blade Because a Blade Is Whole« unternimmt er eine umfassende Handlinien- und Nabelschau, erklärt sie zum Akt der undogmatischen Selbstheilung und empfiehlt sie uns generös zur Nachahmung. Alle Witze gehen auf seine Kosten, schade nur, dass er es mit Humor nicht so hat und lieber ernstelt.
Als Klangkünstler ist DePlume ganz Kind seiner Zeit mit ihrer permanenten Verfügbarkeit von allem und jedem. Folgerichtig spielt er: alles und nichts. Bloß weil er vorwiegend durch ein Saxophon ein- und mit viel Vibrato wieder ausatmet, ist das nicht zwangsläufig Jazz. In den ständig wechselnden Soundkulissen geistern dann Folk- und Antifolk-Elemente herum, es dürfen vereinzelte Noise-Fetzen aufziehen, und manchmal ist per sakralem Chorgesang eine Portion Bombast beigemischt. Man schaut, um das alabasterhafte Phänomen und seinen Markenkern etwas genauer zu ergründen, auf seiner Website vorbei und begegnet sofort dem Hang zum Gesamtkunstwerk. Die Videos sind ein Mix aus Kitsch und Trash, zwischendurch darf es auch mal Ringelpiez mit Anfassen sein. Ist DePlume ein Schamane oder ein Scharlatan? Das Spielerische geht ihm (noch) ab, ironiefähig ist er zwar, aber halt ungern sich selbst gegenüber.
Die musikalischen Bezüge, die er auf »A Blade …« mal zur Persiflage aufruft, dann wieder manisch zu etwas Neuem knetet, helfen nur bedingt weiter. Die Tonspur will vor allem rätselhaft sein: je artifizieller das Patchwork, desto multipler die Persönlichkeit dahinter. Der solcherart verspulte Künstler singt und rezitiert hier also aus seinem letzten Gedichtband bzw. vertont ihn als eigenartiges Gespinst von watteweichen bis kratzbürstigen Sounds – immerhin kein reines Wellnessprogramm! Was die notorischen Donovan- oder Devendra-Banhart-Vergleiche heraufbeschwört, ist schlicht Alabasters romantische Seite. Dass es lange vor ihm einmal eine Incredible String Band und verschatteten Art Rock gegeben hat, ist ihm durchaus kleine Huldigungszitate wert, die er aber fast zwangsläufig zu opulenten Luftschlössern aufbläst. Ob er so tatsächlich soziale Energien freisetzt, wie es seine erklärte Absicht ist? Das übergeordnete Ziel, nichts Geringeres nämlich als die Verabschiedung des Eskapismus, bleibt jedenfalls außer Hör- und Sichtweite. Das ist nun einmal das Drama des begabten Kindes.
»Music is the Healing Force of the Universe« hat ca. 1970 ein gewisser Albert Ayler postuliert, mit seinem ungleich druckvolleren Wumms aus Free Jazz und politischem Impetus. Im Vergleich zu diesem Exorzisten nimmt sich DePlume wie ein vom postmodernen Leben versehrtes Unschuldslamm aus, das gegen die Zumutungen der Welt anblökt. Dann und wann geschieht es, dass Alabaster plötzlich mal auf jeden Künstlerkodex pfeift und von der guten alten Narrenfreiheit Gebrauch macht – was sich sogleich förderlich auf das vegetative Nervensystem auswirkt: Dass niedere Verrichtungen wie Schuhputz, Schreibtischablage oder Nasebohren parallel zum Hörvorgang so widerstandslos vonstatten gehen, ist kein geringer Effekt von DePlumes Bemühungen.
So weit, so eitel und zeitgemäß. Und hinterlistig dazu, denn womöglich hat man es bei Monsieur ja mit einem »Genie ohne Talent« (Robert Filliou) zu tun, das sich im Jahrhundert geirrt hat. Und das nun so gnadenlos interdisziplinär und multimedial vorgehen muss (wie übrigens auch sein etwas rebellischerer Label-Mate Damon Locks), dass die schöne Kunst halt mal etwas breiig gerät. Und das ewige Metaphrasieren sediert mit der Zeit zwar ebenfalls ganz wirkungsvoll, lässt aber eine zentrale Frage unbeantwortet: Ob man hinterher tatsächlich gesünder ist?
Alabaster DePlume: »A Blade Because a Blade Is Whole« (International Anthem/!K7/Indigo)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Potential für Differenzen
vom 24.03.2025 -
Die Körperfresser kommen
vom 24.03.2025 -
Frühjahrstrialog
vom 24.03.2025 -
Nachschlag: Schule der Frauen
vom 24.03.2025 -
Vorschlag
vom 24.03.2025 -
Veranstaltungen
vom 24.03.2025