Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 26. März 2025, Nr. 72
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 25.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Konflikt in Osteuropa

Kriegsprofiteur Slowakei

Regierungschef Fico lehnt zwar Hilfen für Kiew ab, doch Gewinne aus Rüstungsgeschäften sind stets willkommen
Von Dieter Reinisch, Brüssel
3.JPG
Der Pragmatismus von Premier Robert Fico wird oft als russlandfreundlich missverstanden (Belgrad, 21.11.2024)

Der slowakische Präsident Peter Pellegrini hat für Mittwoch zu einem runden Tisch über die Frage der Stärkung der slowakischen Verteidigungskapazitäten und -ausgaben eingeladen. Kommen sollen alle Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien, Verteidigungsminister Robert Kaliňák von der regierenden sozialdemokratischen Smer und der Generalstabschef der Armee, Daniel Zmeko. Die oppositionelle konservative KDH habe genauso wie die anderen Parteien die Einladung angenommen, berichtete die Nachrichtenagentur TASR.

Die Oppositionsparteien einigten sich vergangene Woche in Verteidigungsfragen und wollen dem Präsidenten ihre Position bei dem Treffen darlegen. Zu erwarten ist, dass sie stärkere militärische Unterstützung der Ukraine fordern, was der Regierungschef und Smer-Vorsitzende Robert Fico ablehnt. Zwar will er die Verteidigungskapazitäten der Slowakei ausbauen. Zugleich versucht er aber, eine gute Beziehung mit Moskau aufrechtzuerhalten. Im Januar hatte er Bratislava als Ort von Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ins Spiel gebracht. Doch von der Bewaffnung der Ukraine profitiert wirtschaftlich die Slowakei stärker als andere EU-Länder.

Öffentlich tritt Fico gerne als Gegner von Ukraine-Hilfen und NATO-Kritiker in Erscheinung. Das Thema dominierte auch die in der vergangenen Woche in Brüssel abgehaltene »Woche der Zivilgesellschaft«, die alljährlich vom EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) organisiert wird. Dort wurde die Slowakei in den Plenarsitzungen und auf den Korridoren nahezu durchweg in einem Atemzug mit Ungarn als Problemkind der EU bezeichnet. Aufgrund von Verschlechterungen in Fragen der »liberalen Rechtsstaatlichkeit«, Meinungsfreiheit und wegen ihrer »Abkehr von Europa«, wie es mehrere Redner bezeichneten, müsse »besonders in diesen Ländern die Zivilgesellschaft gestärkt werden«, wie der Präsident des Ausschusses, Oliver Röpke, auf seiner Pressekonferenz vergangenen Mittwoch im Jacques-Delors-Gebäude der anwesenden Presse erklärte.

Wie konkret die Stärkung brüsselfreundlicher NGOs aussieht, konnte sogleich tags darauf erlebt werden: Am Donnerstag erhielt die »Slowakische Debattiervereinigung« den mit 14.000 Euro dotierten diesjährigen EWSA-Zivilgesellschaftspreis. Ihr eingereichtes Projekt: die »Critical Thinking Olympiad« – das sind Kurse für Schulklassen, um Falschinformation in den Medien zu erkennen. Wie »Falschinformation« definiert wird, wurde nicht erläutert. Mit dem Projekt sollen »europäische Werte« gestärkt werden, wie ein Vertreter in seiner Siegesrede verkündete. Von der slowakischen Regierung gebe es keine Subventionen, daher helfe das Geld aus Brüssel – es mache die Hälfte des Jahresbudgets aus. Bei der Verleihung der Preise erklärte der für Kommunikation zuständige EWSA-Vizepräsident Laurențiu Plosceanu: »Die organisierte Zivilgesellschaft spielt eine grundlegende Rolle bei der Sicherung der europäischen Demokratie, wie die bemerkenswerten und vielfältigen Beiträge dieses Jahres erneut bewiesen haben.«

Dass sich Brüssel aber um die Slowakei unter Fico weniger Sorgen machen muss als von vielen liberalen Transatlantikern befürchtet, wurde noch am selben Tag unweit der Preisverleihung deutlich: Auf dem Gipfel des Europäischen Rates betonte Fico zwar, dass jedes EU-Militärhilfepaket für die Ukraine freiwillig bleibe, und lehnte obligatorische Beiträge zu einem vorgeschlagenen 40-Milliarden-Euro-Fonds ab: »Niemand kann die Slowakei zwingen, 250 Millionen Euro aus ihrem Haushalt für Waffen auf Kosten innenpolitischer Prioritäten umzuleiten«, sagte er. Dennoch stimmte er dem Paket am Ende zu: Nur Ungarns Premier Viktor Orbán scherte aus.

»Wir werden diesen freiwilligen Ansatz voll ausschöpfen«, sagte Fico: »Die Slowakei wird keinen einzigen Cent aus ihrem Budget für Waffen für die Ukraine bereitstellen.« Er betonte, die Slowakei werde die Ukraine nur auf kommerzieller Basis mit Waffen beliefern, und fügte hinzu, die humanitäre Hilfe werde fortgesetzt. Die Haltung der Slowakei sei pragmatisch und konsequent, so der slowakische Regierungschef.

Ficos schlussendliche Zustimmung zur geplanten EU-Hochrüstung hat ökonomische Gründe: Wie Mitte März veröffentlichte Zahlen des slowakischen Statistikamts zeigen, haben sich die Waffenexporte des Landes 2024 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und erreichten ein Volumen von 1,15 Milliarden Euro. Vor dem Ukraine-Krieg lag die Summe 2021 gerade einmal bei 100 Millionen Euro. Die Zahlen für 2024 übertreffen sogar die des benachbarten und doppelt so großen Tschechien. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt machten die Waffenexporte der Slowakei 1,1 Prozent aus und lagen damit vom Anteil her nahezu gleichauf mit den USA, wie Reuters berichtete.

Das neue Rüstungspaket der EU »könnte der slowakischen Rüstungsindustrie in den kommenden Jahren ein noch stärkeres Wachstum« bringen, erwartet das englischsprachige Portal Slovak Spectator. »Wir haben vor und nach den Wahlen gesagt, dass wir Rüstungsunternehmen nicht einschränken werden, weil wir Wirtschaftswachstum brauchen«, kommentierte Verteidigungsminister Kaliňák am 12. März die Exportzahlen. »Das ist großartig, denn es schafft Arbeitsplätze«, fügte er hinzu. Ähnlich Fico vor seiner Abreise aus Brüssel am Freitag: Die Slowakei werde der Ukraine »keine militärische Hilfe in Form von Spenden leisten«, wie es EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas verlangt hatte, sagte er TASR. Rüstungsgeschäfte macht Bratislava aber gerne mit Kiew.

Hintergrund: Czechoslovak Group

Die slowakische Rüstungsindustrie ist umfangreich und produziert Haubitzen, Panzer- und Flugsimulatoren, Kampffahrzeuge, Funkgeräte, Militärbagger, Minenräumgeräte, IT-Systeme, Handfeuerwaffen, Radartürme und Kanonen. Der Rüstungssektor wird von zwei Kräften dominiert: dem Staat und der tschechischen Waffenhändlerfamilie Strnad, der das Unternehmen Czechoslovak Group (CSG) gehört. Die Strnads sind dadurch Eigentümer oder in Partnerschaft mit dem Staat Miteigentümer von vier Waffenherstellern im Land: ZVS Holding, MSM Land System, ZVS Armory und Vývoj Martin.

Die Verbindungen der Familie zur regierenden Smer sind eng. Unter smergeführten Regierungen übernahmen die Strnads mehrere slowakische Rüstungsfirmen und sicherten sich lukrative Militäraufträge, schrieb die Tageszeitung Denník N am 11. März. Michal Strnad, der Sohn des Firmengründers, führt seit 2018 das Unternehmen. Der Rüstungskonzern hat auch Fabriken in Deutschland und erwirtschaftet zwei Drittel seines Umsatzes im Handel mit NATO-Staaten. Weitere 23 Prozent des Umsatzes kamen 2024 aus der Ukraine.

Der Konzern ist einer der führenden europäischen Lieferanten von Militärprodukten an die Ukraine. Bereits vor dem Februar 2022 nutzte das ukrainische Militär die »Bohdana«-Haubitze 2S22, Tatra-817-Transportfahrzeuge, das »Burewij«-Raketensystem und den Marschflugkörper R-360 »Neptune«, die von CSG hergestellt werden. Auch der Gefechtspanzer T-72 »Avenger« wird von dem Rüstungskonzern für die Ukraine hergestellt.

Während der sozialistischen Ära wurde die slowakische Rüstungsindustrie aufgebaut und zu einem Standbein der Wirtschaft im südöstlichen Landesteil der damaligen ČSSR. Sie lieferte Waffen nicht nur an das tschechoslowakische Militär, sondern auch an mit der Sowjetunion verbündete Armeen. Mit dem Ende der UdSSR brach der Sektor rapide zusammen und gewann erst in den vergangenen Jahren wieder durch private Investoren an Bedeutung. (dr)

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Anvisiertes Ziel: Kriegsbereit im Jahr 2030 (County Meath, 11.9....
    20.03.2025

    Leitfaden für den Krieg

    EU präsentiert Weißbuch mit Aufrüstungsstrategie. Neues Milliardenpaket für Ukraine im Zentrum des EU-Gipfels
  • Protest gegen die Militarisierung Deutschlands von Anhängern der...
    15.03.2025

    Abrüsten, whatever it takes

    Dokumentiert. Deutschland rüstet auf und macht die Welt damit unsicherer. Eine antimilitaristische Wortmeldung
  • An Kiew »keine einzige Patrone« mehr liefern: Wahlsieger Robert ...
    02.10.2023

    Slowakei schert aus

    Bröckelnde Ukraine-Unterstützung in der EU: Wahlsieger Robert Fico gegen Waffenlieferungen. Gelingt die Regierungsbildung?

Mehr aus: Schwerpunkt