Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 26.03.2025, Seite 16 / Sport
Biathlon

Zielen, wenn der Puls rast

Sehenswerte Wettkämpfe bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in der Schweiz
Von Florian Osuch
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Der neue König: Biathlongesamtweltcupgewinner Sturla Holm Lægreid aus Norwegen

Es sind Momente absoluter Erschöpfung, wenn im Biathlon Athletinnen und Athleten kurz nach Überschreiten der Ziellinie niedersacken und einige Minuten schwer atmend und fast regungslos im Schnee liegen. Im Grunde ist es nicht vorstellbar, dass sie zuvor an mehreren Stationen eines Rennens ihre Körper trotz rasenden Pulses binnen Sekunden in eine Phase absoluter Konzentration überführen und mit höchster Präzision auf winzige Scheiben zielen und treffen können. Je nach Phase eines Wettkampfes unterscheidet sich das Schießen: Im Liegen ist eine kleine Scheibe von nur 4,5 Zentimetern Durchmesser zu treffen, im Stehen ist das Ziel immerhin 11,5 Zentimeter groß. Die Entfernung beträgt immer 50 Meter.

Beim Biathlon gibt es verschiedene Disziplinen mit kürzeren Distanzen (Sprint), langen Strecken, Staffeln mit zwei oder vier Sportlern oder spektakulären Massenstarts. Beim Langlauf kommt es auf Technik, Geschwindigkeit und Ausdauer an, beides bringt die Athleten an die Grenzen ihrer physischen Belastung. Um so faszinierender ist die schlagartige Umstellung beim Schießen. Fehlschüsse werden je nach Disziplin mit einer kleinen Extrarunde oder mit einer Zeitstrafe belegt. Bei den Staffeln führen die Sportler Ersatzpatronen mit, so dass bis zu drei Fehlschüsse ausgeglichen werden können, bevor eine Strafrunde droht. Allerdings kostet auch das manuelle Nachladen wertvolle Zeit, außerdem werden Rhythmus und Konzentration unterbrochen.

Die diesjährige Weltmeisterschaft fand in der Biathlonarena Lenzerheide in der Schweiz statt. Der Ort liegt in einem Tal auf 1.400 Metern Höhe im Kanton Graubünden im Osten des Landes. Wer dabei an eine verschneite Alpenlandschaft denkt, hat den Klimawandel vergessen. Bei milden Temperaturen liefen manche Athleten im T-Shirt, neben den präparierten Bahnen lag kaum noch Schnee.

Zum WM-Auftakt gingen bei der Mixed-Staffel zwei Männer und zwei Frauen eines Teams ins Rennen. Sie hatten je sechs Kilometer Strecke und vier Schießeinlagen zu absolvieren. Als erstes liefen die Frauen, und beim ersten Wechsel führte Julia Simon aus Frankreich, sie war schnell und traf neun von zehn Scheiben. Ihr Team gab die Führung bis zum Schluss nicht mehr ab. Simon gewann mit Lou Jeanmonnot, Éric Perrot und Émilien Jacquelin das erste WM-Gold des Turniers. Silber ging an Tschechien, und Rang drei erreichte Deutschland. Selina Grotian, Franziska Preuß und Philipp Nawrath hatten zwar bereits elf Fehlschüsse erzielt und lagen beim letzten Wechsel auf Rang vier. Schlussläufer Justus Strelow zeigte mit zehn von zehn Treffern seine Qualität beim Schießen.

Es folgten die Wettkämpfe im Sprint. Hier stehen den Sportlern keine Reservepatronen zur Verfügung, so dass Fehlschüsse sofort mit einer Strafrunde belegt werden. Besonders spannend war das Rennen der Frauen. Gold sicherte sich Justine Braisaz-Bouchet aus Frankreich, die fast zehn Sekunden schneller lief als Franziska Preuß, die nun bereits zum zweiten Mal das WM-Podium betrat. Nur 0,2 Sekunden hinter ihr erreichte Suvi Minkkinen aus Finnland das Ziel.

Die Ergebnisse aus dem Sprint entscheiden bei der folgenden Disziplin über die Abstände, mit denen die Sportler ins Rennen gehen. Genau 9,8 Sekunden, nachdem Justine Braisaz-Bouchet gestartet war, nahm Franziska Preuß die Verfolgung auf, fast zeitgleich mit der Finnin Minkkinen usw. WM-Gold und die dritte Medaille im dritten Rennen gingen an eine in Bestform laufende und vor allem schießende Franziska Preuß mit 40 von 40 Treffern. Von Startplatz zehn auf Rang zwei schob sich Elvira Öberg aus Schweden. Sie konnte mit ebenfalls außergewöhnlichen 39 von 40 Treffern fast eine Minute aufholen und verwies Justine Braisaz-Bouchet (37/40 Treffer) mit einem Abstand von nur 1,8 Sekunden auf Rang drei.

Insgesamt dominierten Sportler aus Frankreich und Norwegen die WM. In Spitzenform zeigten sich die Französinnen, die neun von elf Goldmedaillen gewannen, allein Julia Simon erzielte viermal Gold. Der Norweger Johannes Thingnes Bø beendete in Lenzerheide seine Ausnahmekarriere mit fünf weiteren WM-Medaillen: Gold im Sprint, in der Verfolgung und in der Männerstaffel sowie Silber beim Single-Mixed und Bronze beim Massenstart. Seit 2015 gewann er acht Olympiatitel sowie 117 Weltcups, davon 79 Einzelsiege, und er stand 43 Mal auf einem WM-Podium.

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  • Leserbrief von Emmo Frey aus Dachau (27. März 2025 um 12:23 Uhr)
    Warum muss man eigentlich bei dem herrlichen Sport Skilanglaufen mit einem Schießprügel am Rücken durch die Landschaft gleiten und dann im Liegen oder Stehen schießen? Sogar Frauen wollen langlaufend schießen. Ist das die feministische Art der Kriegsertüchtigung? Skilanglaufwettkämpfe sind fast immer sehenswert, die Schießerei dabei ist aber entbehrlich und trägt zur Ästhetik dieses schönen Sports nichts bei, es knallt halt. Ich wundere mich schon etwas, warum in der Zeitung jW Biathlon so bejubelt wird. Ist Schießen überhaupt Sport? Bogenschießen mag ja noch einen gewissen körperlichen Reiz haben, aber Rumballern mit ausgefeiltem technischem Gerät hat mit körperlicher Ertüchtigung wenig zu tun. Wie wäre es, wenn man Radrennfahrern der Tour de France auch eine Knarre um die Schultern hängt und in der Mitte der Strecke beim Zeitfahren vom Rad steigen lässt, um Tontauben abzuknallen? Wäre nur blöd, genauso wie Biathlon. (Ich war jahrzehntelang aktiver und begeisterter Skilangläufer, ganz friedlich, ohne Schießen.)
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (26. März 2025 um 09:34 Uhr)
    »Sehenswerte Wettkämpfe«? Jetzt hat es das nervige Laufen und Schießen auch in die junge Welt geschafft. Sicher kein Zufall, dass diese Militärsportart ständig im TV präsent ist. »Zielen, wenn der Puls rast« passt sehr gut in diese Zeit der Kriegsertüchtigung und Militarisierung. Passend dazu auch die Berufe der deutschen Teilnehmer bei der WM: Sportsoldat, Bundespolizist, Zollbeamter.

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