Auf den zweiten Blick
Von René Lau
Ein Freispruch ist das schönste, was ich als Strafverteidiger erreichen kann, der Abschluss eines langen, steinigen Weges. Unzählige Aktenseiten müssen gelesen, Fotos überprüft oder Videos stundenlang studiert werden. Dazu kommen unendliche Diskussionen mit dem Mandanten, was im Verfahren das klügste Vorgehen ist. Nicht immer geht die Taktik auf. Aber was der Mandant immer erwarten kann, ist penible Arbeit. Ein Aufgeben oder Nachlassen darf es nicht geben.
Vor kurzem kam ein Mandant (Fußballfan) zu mir, dem versuchte gefährliche Körperverletzung nach einem Spiel vorgeworfen wurde. Auf einem Bahnhof soll er eine volle Bierdose auf einen Passanten geworfen haben. Dieser machte vor Ort auch gleich noch ein Foto vom Täter, denn der entkam, bevor Team Blau das Feld betrat. Den einschlägigen Szenekundigen Beamten (SKB) wurden die Fotos übergeben, um den Täter in der Fanszene zu finden. Die waren sich ganz sicher, die Person bereits zu kennen: meinen Mandanten. Bereits beim Studium der Akte kamen Zweifel auf, ob es sich bei meinem Mandanten überhaupt um die Person in der Akte handelt. Staatsanwaltschaft und Gericht übernahmen aber von der Polizei den Namen des Mandanten, und schon war der Strafbefehl mit der Geldstrafe da. In der Hauptverhandlung sahen der Staatsanwalt und der Richter den Mandanten zum ersten Mal.
Große Überzeugungsarbeit war nicht nötig, da Staatsanwalt und Gericht nach meinen Erläuterungen schnell erkannten, dass die Person in der Akte und die im Gerichtssaal nicht identisch waren. Klar gab es den Freispruch, aber warum waren wir überhaupt vor Gericht? Wie genau machen die SKB eigentlich ihren Job? Ganz abgesehen von der psychischen Belastung des Mandanten, der nie weiß, ob das strafrechtliche Damoklesschwert über ihm zum Fallbeil wird.
»Sport frei!« vom Fananwalt.
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