Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 31.03.2025, Seite 8 / Ansichten

Der Knebel als Hebel

Neuer US-Entwurf für Deal mit Kiew
Von Reinhard Lauterbach
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Weckt Interesse in Washington: Die Graphitmine von Sawallja (Oblast Kirowograd) ist eine der größten der Welt (10.2.2025)

Wo Wolodimir Selenskij recht hat, hat er recht. Der neue Entwurf eines »Abkommens« mit den USA über die Ausbeutung ukrainischer Bodenschätze ist eine Unverschämtheit. Geschenke zurückzufordern und das mit Zinsen, das kennt man aus den übelsten Rosenkriegen; und niemanden, der solche Forderungen stellt, würde man im Privatleben über die eigene Türschwelle lassen. Entsprechend eindeutig sind die ersten Stellungnahmen aus der ukrainischen Politikszene: Der Vorschlag sei unannehmbar und nicht im Interesse der Ukraine.

Was die USA auf den 58 Seiten des Vertragsentwurfes an Kiew übermittelt haben, versklavt die Ukraine ökonomisch auf unabsehbare Zeit: Sie würde auf 50 Prozent aller Einnahmen aus dem Verkauf erschlossener und noch zu erschließender Rohstoffe verzichten müssen, bis die von den USA bezifferte Summe des angeblichen »Vorschusses« abgezahlt ist, und in der Zwischenzeit sogar noch vier Prozent jährlich Zinsen zahlen müssen. Die USA wollen sich sogar vorbehalten, ein Veto einzulegen, wenn die ukrainische Seite versuchen sollte, Rohstoffe an »strategische Rivalen« Washingtons zu verkaufen. Neu ist das nicht und auch nicht trump­spezifisch; schon vor einigen Jahren hatte die US-Regierung die Übernahme des Flugmotorenherstellers Motor-Sitsch durch ein chinesisches Unternehmen torpediert. Mit dem Entwurf wird die räuberische Natur des US-Imperialismus offenkundig. Und indirekt werden alle ukrainisch-patriotischen Narrative über die angebliche Ausbeutung des Landes durch Russland als Ammenmärchen entlarvt: Solche Konditionen hat Moskau der Ukraine weder vor noch nach 1991 jemals aufgezwungen oder dies auch nur versucht.

Das wirft die Frage auf, wie ernst die USA diesen Vorschlag tatsächlich meinen. Ist er vielleicht, wird in Kiew gerätselt, genau deshalb so unannehmbar formuliert, damit ihn Selenskij ablehnt und damit den USA einen Vorwand liefert, sich militärisch und ökonomisch von der Ukraine abzuwenden? Als einer geopolitischen Investition, die sich letztlich für die USA nicht rentiert hat. Das ist natürlich der Alptraum der ukrainischen Politik, denn sie wäre damit vollständig auf einen Unterstützer angewiesen, der hierfür zwar die bösen Absichten hat, aber zumindest kurzfristig nicht die Mittel.

Wenn Selenskij jetzt erklärt hat, die Ukraine werde auf gar keinen Fall etwas unterzeichnen, was ihren Beitrittsprozess zur EU negativ beeinflusse, dann versucht er, genau diese EU-Karte zu spielen: die letzte, die er noch hat. Den europäischen Kapitalen die Rohstoffe und die (im Lande verbliebenen) Arbeitskräfte der Ukraine anzubieten. Auch ihnen gegenüber würde er wenig zu verhandeln haben und nehmen müssen, was ihm geboten wird. Und es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass die EU Kiew für seine schönen Augen irgend etwas schenkt. Die »Revolution der Würde«, als die sich der Euromaidan selbst feierte, endet da, wo sie enden muss: in würdeloser Bettelei.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (1. April 2025 um 12:48 Uhr)
    Der Streit, ob die US-Hilfen für Kiews Krieg gegen Russland als Zuschuss oder als Kredit gewährt wurden, erinnert ein wenig an den iranisch-irakischen Krieg, als der Westen den irakischen Aggressor massiv unterstützt hatte und Saddam Hussein dann meinte, dass z.B. die Gelder aus Kuwait als Zuschuss gewährt worden seien, während Kuwait meinte, sie seien nur als Kredit gegeben worden. Damals wollte der Irak seine Ansicht mit dem Überfall auf Kuwait durchsetzen. Selenskij handelt nun irgendwie vergleichbar, wenn er bei seinem Besuch in den USA Ende Februar seinen Gastgebern Krieg androhte mit den Worten: »Im Krieg hat jeder Probleme, sogar Sie. Aber Sie haben einen schönen Ozean, und Sie fühlen das jetzt nicht – aber Sie werden es in Zukunft fühlen«. Dass Selenskij da – analog zum irakischen Angriff auf Kuwait – an einen ukrainischen Angriff auf die USA gedacht hatte, schließe ich aus, auch wenn Selenskij die ukrainische Armee 2021 zur besten der Welt erklärt hatte. Eher könnte man vermuten, dass Selenskij auf einen russischen Angriff auf die USA gesetzt hatte, wenn die tiefe Verstrickung der USA in die ukrainische Kriegsführung bekannt werden würde, wie sie jüngst von der New York Times publik gemacht wurde. Die amerikanische Raketenprogrammierung in Wiesbaden wird ja gewiss von Russland als weiterer Schritt des Westens in Richtung direkter Kriegsbeteiligung gewertet werden. Klar, dass Trump auf so eine Drohung Selenskijs empfindlich reagieren würde. Gleich zweimal verwies er Selenkij auf seinen Platz mit den Worten: »Sagen Sie uns nicht, was wir fühlen werden«. Und zu Recht äußerte Trump in dem Skandalgespräch den Vorwurf, Selenskij würde mit dem Dritten Weltkrieg spielen. (…)
  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (1. April 2025 um 11:44 Uhr)
    Die Überschrift trifft es nicht, und auch erst der zweite Teil des Kommentars trifft den Nagel auf den Kopf. Die Trump-Regierung sieht die Ukraine tatsächlich als »Investition, die sich für die USA nicht rentiert hat«. Und Trump will wirklich nun, was schon Obama proklamiert und Biden de facto aufgegeben hatte, den »pivot to Asia«, die Konzentration aller Kräfte auf die Niederringung Chinas. Also lässt man die Ukraine, die nun auch noch »undankbare«, fallen wie eine heiße Kartoffel. Wenn »die Europäer« noch weitermachen wollen, na dann »ohne uns«!
    Und die wollen das tatsächlich, auch um den Preis von einer Million Millionen Euro Kriegsvorbereitungskosten! Das rechnet sich doch aber letztlich auch für Europa nicht! Die Ukraine war nicht, ist nicht und wird nicht ein EU- und NATO-Land! Doch speziell von der Leyen und Kallas wehren sich mit allen Kräften gegen diese Erkenntnis. Auf unsere Kosten! Und die der Völker der Ukraine!
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (31. März 2025 um 17:57 Uhr)
    Jetzt sitzen die ukrainischen Faschisten endgültig in der Falle. Sie haben jetzt die »Wahl« zwischen Pest und Cholera. Entweder sie verlieren einen Teil ihres ehemaligen Territoriums (die autonomen russisch-ethnischen Republiken) oder zusätzlich noch das ganze restliche Land an die US-Imperialisten. Aber sie hoffen ja noch immer auf die Rettung durch das EU-Kriegsbündnis der »Willigen« – also auf ein westliches Wunder. Aber auch die »Willigen« sind keineswegs die »Billigen«. Auch sie werden zu gegebener Zeit ihren Preis einfordern. So läuft das nun mal unter Gangstern.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (31. März 2025 um 17:56 Uhr)
    Die Ukraine hat mit ihrem Konfrontationskurs gegen Russen und Russland ihre Souveränität bereits nach dem Maidan weitgehend verspielt. Wäre die Mischung aus tumben Nationalisten und ferngesteuerten Marionetten nicht quasi strukturell zur Blödheit verpflichtet, hätte die ukrainische Regierung und die ukrainische »Elite« das auch gewusst. Eine neue Restchance auf einen anderen Weg gab es mit der Wahl von Selensky, falls dessen Versöhnungsrhetorik jemals ernst gemeint und durchsetzungsfähig war – und mit den Minsker Abkommen, die laut Merkel und Hollande nie ernst gemeint waren. Legt ein Staat sich mit einem mächtigen Nachbarn an, zerreißt dabei noch das innere fragile Gefüge des eigenen Landes, begibt es sich zwingend in die totale Abhängigkeit Dritter. Es war klar, dass die Ukraine von der einen oder anderen oder von beiden Seiten filetiert wird. Es war klar, dass die Ukraine verlieren würde. Es war klar, dass EU-Europa mit verliert und vom Filet nichts abbekommt.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. März 2025 um 21:37 Uhr)
    Eine alte Binsenweisheit lehrt uns: Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge. Wer glaubt, dass die Ukraine und Präsident Selenskij in den globalen geopolitischen Machtverschiebungen eine entscheidende Rolle spielen, ist entweder naiv oder ein Journalist, der für diese Illusion bezahlt wird. Sowohl die USA als auch Russland stehen vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass sie nehmen, was sie kriegen können. Das mag moralisch fragwürdig und unschön sein, doch genauso agieren Großmächte. In der internationalen Politik gibt es keine Geschenke – nur Interessen. Selenskij hat vom sogenannten »Wertewesten« alles gefordert: Waffen, Geld und politische Unterstützung. Doch nur Letztere gibt es umsonst. Nun wird ihm die Rechnung präsentiert – ein Umstand, der ihn offenbar überrascht. Dass seine Regierung, bestehend aus einer politisch unerfahrenen Elite, sich einbildete, die westliche Unterstützung sei ein Akt reiner Großzügigkeit, zeugt von naiver Selbstüberschätzung. Jetzt hofft Kiew, die EU könne die USA als Hauptunterstützer ersetzen. Dabei übersieht man zwei wesentliche Punkte: Erstens ist die EU ohne die USA nicht in der Lage, die Ukraine in vergleichbarem Maß zu unterstützen. Zweitens verfolgen auch die EU-Kapitalisten primär eigene wirtschaftliche Interessen. Wer glaubt, dass Brüssel Kiew aus altruistischen Motiven heraus hilft, verkennt die Realitäten des Kapitalismus. Die »Revolution der Würde«, als die sich der Euromaidan selbst feierte, endet dort, wo alle illusionären Träume enden: in der knallharten Realität einer Weltordnung, in der nichts ohne Gegenleistung gewährt wird.

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