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Aus: Ausgabe vom 07.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Südkorea

Südkorea vor Neuwahlen

Verfassungsgericht enthebt Putschpräsident Yoon seines Amtes. Anhänger protestieren
Von Martin Weiser, Seoul
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Yoons Absetzung allein reicht nicht: Protest für weitere Strafverfolgung Verantwortlicher in Seoul (5.4.2025)

Monatelang hat das politische Südkorea auf diese Entscheidung gewarete: Am Freitag vormittag entschied das südkoreanische Verfassungsgericht einstimmig, Yoon Suk Yeol des Präsidentenamtes zu entheben. Damit muss Südkorea innerhalb von 60 Tagen ein neues Staatsoberhaupt wählen, das mit der Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses ohne Übergangszeit auch direkt sein Amt antritt. In den Umfragen führt derzeit der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Lee Jae Myung. 2022 hatte er mit einem denkbar knappen Unterschied von nur rund 200.000 Stimmen, was 0,8 Prozentpunkten entspricht, gegen Yoon verloren.

Für die Absetzung von Yoon ließ sich das Gericht mit insgesamt 38 Tagen seit der letzten Zeugenanhörung viel Zeit. Vor rund vier Monaten hatte das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit seine Absetzung beantragt, da Yoon am späten Abend des 3. Dezembers das Kriegsrecht ausgerufen und versucht hatte, Parlament wie Wahlkommission von Soldaten abriegeln zu lassen.

Bis zum Urteilsspruch wusste niemand außer den Richtern selbst, ob das Gericht dem eigenen Präzedenzfall folgen und den Präsidenten absetzen oder ob drei konservative Richter das Verfahren kippen würden. Laut Verfassung müssen mindestens sechs der eigentlich neun Richter für die Absetzung stimmen. Da die konservative Regierung einem linken Richter bisher die Ernennung verweigert, umfasst das Gremium derzeit nur acht Richter. 2017 war die Diktatorentochter Park Geun Hye in einem ersten solchen Verfahren bereits ihres Amtes enthoben worden. Auf der großen Demonstration der Yoon-Gegner im Stadtzentrum von Seoul verfolgten am Freitag viele gespannt die Urteilsverkündung im Livestream und jubelten praktisch nach jedem Satz.

Die Jubelrufe hörte man wahrscheinlich auch auf der Demo der Antidemokraten, die einen Häuserblock weiter und durch meterhohe Schutzwände der Polizei abgetrennt auf das Gegenteil hofften. Dort ging man wahrscheinlich davon aus, dass die konservativen Richter, wenn sie schon nicht die Absetzung selbst verhinderten, doch zumindest das Urteil mit ihrem Veto schwächen würden. Doch diese Spaltung des Gerichts blieb aus, und so mussten Yoons Verteidiger ohne Unterstützung von Verfassungsrichtern behaupten, der Prozess sei unfair und illegal und das Urteil sowieso rein politisch. Yoon selbst war nicht zur Urteilsverkündung erschienen, erklärte aber nach der Entscheidung: »Es tut mir aufrichtig leid und bricht mir das Herz, dass ich nicht in der Lage war, Ihre Erwartungen zu erfüllen.«

Auch am Sonnabend gingen Tausende enttäuschte Yoon-Anhänger auf die Straßen. In der Hauptstadt Seoul skandierten sie »Die Amtsenthebung ist ungültig« oder »Annulliert die vorgezogene Wahl«. Sie hatten sich wohl auch wegen des Urteils vom 24. März zur Wiedereinsetzung des Ende Dezember als Ministerpräsident und Interimspräsident abgesetzten Han Duck Soo in beide Ämter Hoffnungen gemacht, dass die Absetzung Yoons keine sichere Sache sei. Bei der Entscheidung im März waren zwei der acht Richter der Meinung, das Parlament habe im Dezember verfassungswidrig eine Absetzung beantragt. Ihr Argument: Bei einem Interimspräsidenten sei eine Zweidrittelmehrheit nötig, um eine Absetzung zu beantragen, und nicht mehr nur Stimmen der Hälfte der Abgeordneten. Von den sechs anderen Richtern sprach sich nur einer für seine Absetzung aus. Und das, obwohl alle sechs anerkannten, dass der Ministerpräsident die Verfassung gebrochen hatte, als er sich weigerte, die vom Parlament ausgewählten drei neuen Verfassungsrichter zu ernennen.

Nach der Parlamentsabstimmung gegen Han am 27. Dezember wurde er, wie bei südkoreanischen Absetzungsverfahren üblich, bis zum Urteil des Verfassungsgerichts beurlaubt. Choe Sang Mok, Premiervize sowie Finanz- und Wirtschaftsminister, wurde neuer Interimspräsident. Er winkte aber nur zwei der Richter durch. Gerade dem dritten linken Richter verweigerte auch er die Ernennung, weil der sich bereits klar für die Absetzung Yoons ausgesprochen hatte.

In den vergangenen Tagen drohte die Demokratische Partei (DP) daher beiden, sie dafür vors Verfassungsgericht zu bringen. Schließlich hätte ein neunter Richter bei Yoons Absetzung das Zünglein an der Waage sein können, hätten sich die konservativen Richter anders entschieden. Nun wird die Partei mit ihrer Drohung wahrscheinlich erst einmal nicht Ernst machen. Angesichts all der Wirtschaftsprobleme und unberechenbaren Politik der USA wieder die Regierungsspitze abzusetzen, würde wohl auch an der Wahlurne nicht sehr gut ankommen.

Nach dem Ende von Yoon scheinen auch die von ihm in Schlüsselpositionen eingesetzten Rechten zu wackeln. Die Vorsitzende der Communications Commission, Lee Jin Sook, die fast im Alleingang die öffentlich-rechtlichen Sender aushöhlt, könnte über »vergessene« Reichtümer stolpern, die sie hätte veröffentlichen müssen. Sie habe die Bankkontos vergessen, auf denen sich umgerechnet Hunderttausende Euro befanden, war ihre Entschuldigung. Die Vorsitzende von Südkoreas Wahrheits- und Versöhungskommission, Park Sun Young, von Yoon kurz nach der Kriegsrechtserklärung installiert, hatte ein angebliches Massaker nordkoreanischer Truppen in einem Seouler Krankenhaus im Koreakrieg für anerkannt erklärt, obwohl der formelle Beurteilungsprozess des Falls durch die Kommission noch gar nicht abgeschlossen war. Beide könnten nun ihre Posten verlieren.

Mit Yoons Absetzung und dem wahrscheinlichen Sieg der DP kann sich Südkorea bald daran machen, die Scherben von zwei Jahren rechter Politik wegzuräumen und das Land und seine demokratischen Institutionen wieder aufzubauen.

Hintergrund: Justiz gegen Recht

Am 8. März wurde Expräsident Yoon Suk Yeol aus der Untersuchungshaft entlassen. Das hatte ein Seouler Bezirksgericht einen Tag zuvor so angeordnet, weil die Verlängerung der Haft im Januar angeblich acht Stunden nach Fristende beantragt worden war. Die dafür verantwortlichen Staatsanwälte bestanden darauf, sie hätten laut Gesetz bis Mitternacht Zeit gehabt. Das Gericht verwarf hingegen die Rechtsauslegung, die der seit Jahrzehnten gängigen Praxis entsprach, und erklärte, man habe im Sinne des Angeklagten streng nach Stunden zu berechnen. Laut Gericht hätte die Haftverlängerung morgens beantragt werden müssen und nicht erst abends. Offensichtlich gab es also juristischen Klärungsbedarf, und die Staatsanwaltschaft hatte sogar eine ganze Woche Zeit, um Berufung einzulegen und ein höheres Gericht darüber entscheiden zu lassen.

Das verhinderte der Oberste Staatsanwalt des Landes, Sim Woo Jeong, der dem Präsidenten im vergangenen Jahr noch als Vizejustizminister zugearbeitet hatte und erst seit September die Staatsanwälte befehligt. Damit setzte er sich auch explizit über die Forderung seiner für Yoons Fall zuständigen Untergebenen hinweg. Sim ließ nicht einmal Zeit, die juristischen Differenzen auszudiskutieren und ordnete nur einen Tag später an, das Gerichtsurteil nicht anzufechten. Die oppositionelle Demokratische Partei fordert Sim daher zum sofortigen Rücktritt auf und droht nun, ihn wegen Amtsmissbrauch vor Gericht zu stellen.

Die für Yoons Freilassung vorgebrachten Argumente machen ebenfalls deutlich, wie gerne man für den Putschpräsidenten Prinzipien über Bord geworfen hat. Das Gericht führte zwar zunächst den Formfehler bei dem Antrag auf Haftverlängerung an, äußerte dann aber allerhand andere Einwände gegen Yoons Inhaftierung, zum Beispiel: Die Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption sei nicht für die Untersuchung solcher Fälle wie den eines Putschversuchs zuständig. Dabei hatten andere Gerichte das bereits für zulässig erklärt. (mw)

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