Von oben durchgeboxt
Von Fabio Nacci
Zehntausende haben am Wochenende in Italien ihrer Wut Luft gemacht – und das gleich aus zwei Gründen. Bereits in den vergangenen Tagen waren Hunderte gegen die Aufrüstung der EU auf die Straßen gegangen. Als sich am Freitag herumsprach, dass die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein geplantes und seit Monaten im Parlament diskutiertes Sicherheitsgesetz am Parlament vorbei im Kabinett in Form eines Dekretes verabschiedet hatte, war kein Halten mehr. Gegen Studenten und Aktivisten ging die Polizei gewaltsam vor. Sie hat mit dem neuen Erlass mehr Befugnisse als je zuvor seit dem Ende des Faschismus. Und zwar ab sofort.
Das Parlament, allen voran die Partei Alleanza Verdi e Sinistra (AVS), hatte den Gesetzentwurf (»DdL Sicurezza«) lange blockiert. Es hat nur noch 60 Tage lang die Möglichkeit, zu dem Dekret zu äußern. Meloni rechtfertigte sich und erklärte: »Es ist eine Entscheidung, für die wir die Verantwortung übernehmen, im Bewusstsein, dass wir nicht mehr warten konnten und es eine Priorität war, den Bürgern Antworten zu geben und unseren Männern und Frauen in Uniform die Schutzmaßnahmen zu bieten, die sie verdienen.« Um das Maßnahmenpaket – eines ihrer Wahlkampfversprechen – durchzubringen, ist die Rechte auf Änderungsvorschläge von Präsident Sergio Mattarella eingegangen, sechs Punkte sind im Vergleich zum Gesetztesentwurf verändert worden. Darunter war die womöglich verfassungswidrige Verpflichtung von Universitäten und öffentlichen Verwaltungen, vertrauliche Informationen an den Geheimdienst weiterzugeben, was gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen würde. Ein geringer Preis, wenn man bedenkt, dass eine der genehmigten Bestimmungen ist, dass der Inlandsgeheimdienst nun nicht nur »illegale und subversive« Organisationen bespitzeln kann, sondern seine V-Männer sie zur »Informationsgewinnung« sogar leiten dürfen.
Auch die Polizei darf sich freuen: Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört die Gewährleistung eines rechtlichen Schutzes für Ermittlungsbeamte und Militärs, gegen die in dienstlichen Angelegenheiten ermittelt wird. Sie dürfen während laufender Untersuchungen weiterarbeiten und erhalten eine doppelte Deckung der Rechtskosten von bis zu 10.000 Euro für jede Verfahrensphase. Zudem wird das Strafmaß für »Aggressionen« und Widerstand gegen Beamte erhöht. Polizeikräfte dürfen jetzt Bodycams benutzen, und zwar in öffentlichen Ordnungseinsätzen, beim Wachschutz ebenso wie in Haftanstalten.
Praktisch ist das Gesetz auch zur Repression: Das Gesetzesdekret belegt »passiven Widerstand« mit schwerwiegenden Strafen. Bis zu sechs Jahre für einfache Teilnehmer von Protestaktionen, bis zu zehn für »Anführer« und bis zu zwanzig, wenn Aktionen zu (unbeabsichtigten) Verletzungen oder dem Tod führen. Um auf den Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen einige Infrastrukturprojekte, die schädlich für das Ökosystem und die Regionen sind, zu reagieren – wie bei der Eisenbahnlinie Lyon-Turin oder der Brücke über die Straße von Messina – wurde eine Strafverschärfung eingeführt, wenn Projekte in den Bereichen Energie, Verkehr, Telekommunikation oder andere öffentliche Dienste behindert werden. Nicht zu vergessen die neu eingeführten Haftstrafen von zwei Jahren für das Blockieren von Straßen, eine der Proteststrategien von Umweltverbänden wie Extinction Rebellion.
Auch das Geschäft mit Cannabis light wird verboten, wodurch 11.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Der Vorsitzende der linken Partei AVS, Peppe de Cristofaro, kommentierte bitter: »Wenn das Strafgesetzbuch geändert wird, darf nicht per Dekret gehandelt werden. Es geht um die Freiheit der Menschen, wollen sie Italien wirklich in Ungarn verwandeln?« Eine Befürchtung, die immer realer wird und viele Menschen dazu bringt, auf die Straße zu gehen.
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