Retter unter Feuer
Von Wiebke Diehl
Es ist immer das gleiche Muster: Zuerst behauptet die israelische Besatzungsarmee, inmitten des von ihr geführten Angriffskriegs in »Notwehr« gehandelt zu haben. Dann muss wegen aufgetauchter Beweise zurückgerudert werden. Gleichzeitig wird das eigene Handeln mit der unbelegten »Feststellung« legitimiert, unter den Getöteten hätten sich Hamas-Mitglieder befunden. Exakt dieser Argumentation folgt Armeeführung auch in bezug auf 14 am 23. März im Gazastreifen getötete Rettungskräfte des Roten Halbmonds und des palästinensischen Zivilschutzes. Erst sieben Tage, nachdem ihre Krankenwagen und ein Feuerwehrfahrzeug von israelischen Soldaten aus nächster Nähe beschossen worden waren, konnten ihre Leichen aus einem Massengrab geborgen werden. An anderer Stelle fand man zudem einen getöteten UN-Mitarbeiter.
Ein am Freitag von der palästinensischen Rothalbmond-Gesellschaft veröffentlichtes und an den UN-Sicherheitsrat gesandtes Handyvideo beweist: Die Rettungsfahrzeuge waren nicht nur deutlich sichtbar als solche gekennzeichnet. Anders als von Tel Aviv zunächst behauptet, waren auch Scheinwerfer und Notsignale eingeschaltet. Zudem sind mindestens zwei Rettungskräfte zu sehen, wie sie in reflektierender Kleidung aus den Fahrzeugen steigen. Dennoch dauert der Beschuss noch einige Minuten an, bis die Aufzeichnung abbricht. Aufgrund ähnlicher israelischer Kriegsverbrechen haben die Vereinten Nationen am 25. März bekanntgegeben, ein Drittel ihres Personals aus Sicherheitsgründen aus dem Gazastreifen abzuziehen.

Nach Angaben des Amtes der UN für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten hat Israels Armee bis Anfang Dezember über 1.000 medizinische Fachkräfte getötet. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch 17 von 36 Krankenhäusern in der Küstenenklave teilweise funktionsfähig. Die anderen 19 mussten komplett geschlossen werden. Unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Tel Aviv vorgeworfen, das palästinensische Gesundheitssystem systematisch zu zerstören. Einem Ende Februar veröffentlichten Bericht der israelischen Organisation Physicians for Human Rights zufolge verschleppen israelische Soldaten im palästinensischen Gesundheitswesen Beschäftigte wegen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig zwecks Informationsbeschaffung von ihren Arbeitsplätzen, halten sie monatelang ohne Anklage fest und foltern auch unter Anwendung sexualisierter Gewalt. Gesundheitspersonal von der Arbeit fernzuhalten habe außerdem zum Ziel, Hunderttausende unschuldige Zivilisten dem Tod zu weihen. Bereits im August letzten Jahres drängte die US-Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch auf eine Untersuchung dieses israelischen Vorgehens durch den Internationalen Strafgerichtshof.
Derweil forderte am Sonntag das UN-Kinderhilfswerk UNICEF Zugang für Hilfskonvois nach Gaza. Tausende Paletten mit Hilfsgütern stünden bereit, würden aber seit dem 2. März nicht in die Küstenenklave gelassen. Gebrauchsfähige Säuglingsnahrung sei nur noch für 400 Kinder und für einen Monat übrig, darauf angewiesen seien aber etwa 10.000 Säuglinge. Dass der mit US-Unterstützung geführte unerbittliche Krieg gegen Gazas Zivilbevölkerung weitergehen wird, wurde am Freitag erneut deutlich: Mit 82 zu 15 bzw. 83 zu 15 Stimmen lehnte der US-Senat zwei von Senator Bernard Sanders eingebrachte Resolutionen zum Stopp von Waffenlieferungen nach Israel ab.
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Leserbrief von Reinhold Schramm aus Berlin (7. April 2025 um 12:03 Uhr)Mit dem 7. Oktober 2023 wurde die staatliche Zukunft Palästinas im Nahen Osten abschließend beendet! Es gibt keine Zukunft für einen eigenen Staat der Palästinenser in Nahost! Es wäre ein fortwährendes wechselseitiges Abschlachten! Damit enden auch alle Rechtfertigungsversuche aus der vorausgegangenen Geschichte.
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Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (7. April 2025 um 11:10 Uhr)Wahrheit und Staatsraison scheinen sich offensichtlich immer mehr auszuschließen. Oder passt das gar nicht zusammen? Israel führt rundum einen gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen Kinder, Frauen und Männer – Deutschland, die EU, die NATO samt USA liefern die Waffen dazu. Über 50.000 Menschen haben das Wohlverhalten sowie diese aktive Unterstützung bisher mit ihrem Leben bezahlt. So schlimm und verurteilungswürdig der Angriff der Hamas auf Israel war und ist, so kann es den Terror der israelischen Armee gegen Zivilisten nicht rechtfertigen. Nunmehr sind Menschen, die anderen das Leben retten wollten, wohl regelrecht von israelischen Soldaten hingerichtet worden. Sowohl Israel als auch der sogenannte »Wertewesten« bestreitet das Offensichtliche, legen keinerlei Beweise vor und gebrauchen Hamas als Totschlagargument. Die Vertreibung und aggressive Siedlungspolitik Israels gegenüber Palästinensern, die Gegenstand von UN-Beschlüssen sind, existieren in der westlichen Medienpolitik so gut wie nicht. Ursachen und Wirkungen für die explosive Lage im Nahen Osten werden geflissentlich ausgeblendet und nur auf eine bedingungslose Unterstützung des staatlichen Terrors gesetzt. Selbst der Internationale Gerichtshof sieht explizit israelische Menschenrechtsverstöße. Aber Deutschland betont die Durchsetzung einer völlig unkritischen Staatsraison und praktiziert die Ausgrenzung von kritischen und wahrheitssuchenden Andersdenkenden. Der Einfluss Israels reicht sogar soweit, dass ein Redner zur Gedenkveranstaltung für die Befreiung des KZ Buchenwald, der Philosoph Omri Boehm, ausgeladen wurde.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gion H. aus Gümligen (6. April 2025 um 23:03 Uhr)Dies geschieht alles mit dem eindeutigen Ziel, das palästinensische Volk in Palästina auszulöschen: Eine UN-Kommission unter Leitung von Navi Pillay (ehem. Richterin am IStGH) schrieb in ihrem Bericht März 2025 unter anderem: »Einrichtungen, die der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung dienten, wurden systematisch im gesamten Gazastreifen zerstört, einschließlich Entbindungskliniken und Entbindungsstationen und, insbesondere, Gazas wichtigste Kinderwunschklinik. Israelische Behörden zerstörten diese Einrichtungen vorsätzlich und setzten sie außer Betrieb, während sie gleichzeitig eine Blockade erzwangen und humanitäre Hilfe in großem Stil unmöglich machten, einschließlich der Verhinderung der Lieferung erforderlicher Medikamente und medizinischer Ausrüstungen zur Ermöglichung sicherer Schwangerschaften, Geburten und Behandlung von Neugeborenen. (…) Die Kommission stellt fest, dass die israelischen Behörden die reproduktiven Kapazitäten der Palästinenser in Gaza als Gruppe (zumindest) teilweise zerstört haben, einschließlich der Auferlegung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Geburten zu verhindern, eine der genozidalen Handlungen, die im Römischen Statut (Statut des Internationalen Strafgerichthofs) und in der Völkermordkonvention aufgeführt sind.« Wann endlich werden alle Komplizen dieses vor aller Augen sichtbaren Völkermords – allen voran die Verantwortlichen in den USA, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich – endlich vor dem IStGH angeklagt?
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Leserbrief von AG (7. April 2025 um 15:48 Uhr)»Wann endlich werden alle Komplizen dieses vor aller Augen sichtbaren Völkermords – allen voran die Verantwortlichen in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich – endlich vor dem IStGH angeklagt?« Gar nicht, solange man einen Leserbrief auf der Seite der jW lesen muss, um in der BRD von diesem UN-Bericht überhaupt zu erfahren.
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