Antisemitisch oder nicht?
Von Jamal Iqrith
Nach dem Angriff auf den jüdischen deutsch-israelischen Studenten Lahav S. im Februar 2024 in Berlin hat der angeklagte Exkommilitone gestanden und um Vergebung gebeten. Beim Prozessauftakt vor dem Amtsgericht Tiergarten am Dienstag bezeichnete der 24jährige Berliner mit palästinensischen Wurzeln die Tat als »Kurzschlussreaktion«, die er zutiefst bereue.
S., ein inzwischen 32jähriger Student der Freien Universität Berlin (FU), war nach einem Barbesuch am 2. Februar 2024 in Berlin-Mitte angegriffen worden. Dem Opfer zufolge wurde ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen und später ins Gesicht getreten. Er trug mehrere Frakturen davon.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten gefährliche Körperverletzung vor und stuft die Tat als antisemitisch ein. Der politische »Aktivismus« des Geschädigten sei ausschlaggebend für die Tat gewesen, sagte eine Gerichtssprecherin am Dienstag. Lahav S. wurden in der Vergangenheit bewusste Eskalation und Provokation bei propalästinensischen Veranstaltungen vorgeworfen. Bei einer palästinasolidarischen Hörsaalbesetzung an der FU Berlin im Dezember 2023 war es zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und an der Besetzung beteiligten Studenten gekommen.
Der Vorfall im Februar 2024 war umgehend instrumentalisiert worden. Medienberichte sprachen von einem »antisemitischen Angriff«. Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärte: »Jüdische Menschen müssen sich in Berlin überall sicher fühlen – auch an unseren Universitäten!« S. verklagte die FU Berlin, weil sie die »antisemitische Stimmung«, die zu dem Angriff geführt habe, zu lange toleriert habe. Der Verhandlung am Dienstag wohnte auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bei. Am Montag hatte Klein erklärt, »wie gefährlich Antisemitismus ist und wie wichtig seine konsequente Verfolgung und Ahndung durch die Justiz ist«.
Der Angeklagte stritt ein antisemitisches Motiv ab. »Es ging in keiner Weise um Politik«, sondern er habe S. »konfrontieren wollen«, beteuerte er vor Gericht. Das Tatmotiv ist vor allem für das Strafmaß relevant. Der Vorsitzende Richter erklärte, eine Bewährungsstrafe sei vorstellbar, die allerdings bei Vorliegen eines antisemitischen Motivs ausgeschlossen sei. Zur Feststellung des Motivs ist vor allem der genaue Tathergang von Bedeutung, zu dem am Dienstag widersprüchliche Angaben gemacht wurden.
Eine Zeugin, die Lahav S. an dem Abend in die Bar begleitet hatte, soll unmittelbar nach der Tat gegenüber der Polizei erklärt haben, es habe zwischen dem Angeklagten und dem Opfer einen Streit gegeben. In einer Mitteilung der Polizei unmittelbar nach der Tat war die Rede von einem »Streit unter Studenten«. Vor Gericht konnte sie sich daran nicht mehr erinnern. Auch weitere Zeugen erklärten, die beiden Personen hätten gestritten, eine Zeugin sprach von einer »Rangelei«. Dass es sich womöglich nicht um einen antisemitischen, sondern einen politischen Angriff gehandelt haben könnte, bestätigte die Begleiterin von S. Vor Gericht wiederholte sie ihre Aussage, der Student führe an der Universität eine »proisraelische Gruppe« und sei dort »sehr aktiv«.
Bei der Auseinandersetzung vor der Tat soll es unter anderem um zwei Plakate gegangen sein, die S. bei der FU-Besetzung abgerissen hatte. Darauf war laut Aussagen von S. »Propagandamaterial über Landraub« durch den israelischen Staat zu sehen – laut ihm ein klarer Fall von »israelbezogenem Antisemitismus« und eine »Dämonisierung«. Während der Verhandlung wurden Beiträge in universitären Gruppenchats gezeigt. In einem davon rechtfertigt Lahav S. das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen und nimmt Bezug auf »Pallywood« – ein zynischer Begriff, mit dem palästinensische Opfer israelischer Angriffe als Schauspieler dargestellt werden.
Als Indiz für eine antisemitische Motivation brachte die Staatsanwaltschaft einen Beitrag aus einem Online-Messengerdienst vor, auf dem der mutmaßliche Tatort zu sehen ist. Zudem wird der Name des Angeklagten genannt und das Opfer als »Judenhurensohn« bezeichnet. Von wem der Beitrag stammt, sei allerdings nicht bekannt. Für kommenden Donnerstag ist ein zweiter Verhandlungstag vorgesehen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Paul Zinken/dpa05.06.2024
Hochschulen der »Staatsräson«
- Christoph Gollnow/dpa22.05.2024
Akademische Einigkeit
- Monika Skolimowska/dpa09.02.2024
Exmatrikulation als Instrument
Mehr aus: Inland
-
Lästige Verpflichtungen loswerden
vom 09.04.2025 -
Verjährungsfrist verdoppelt
vom 09.04.2025 -
Protz der Pfeffersäcke
vom 09.04.2025 -
Aktionstage der GEW in Sachsen
vom 09.04.2025 -
»Gegen Aufrüstung etwas unternehmen«
vom 09.04.2025