Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 09.04.2025, Seite 5 / Inland
Hamburger Überseequartier

Protz der Pfeffersäcke

In Hamburg eröffnet der Konsumtempel »Überseequartier«. Exbürgermeister Scholz gewährte die doppelte Ladenfläche
Von Ralf Wurzbacher
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Das Westfield-Einkaufszentrum: Wo dich die Kaufkraft ausmacht (Hamburg, 8.4.2025)

Olaf Scholz (SPD) ist politisch so gut wie weg vom Fenster. Nachwirken wird er aber noch lange: »Zeitenwende«, Frackinggas, Cum-Ex – alles Dinge, die dauerhaft an Land und Leuten hängenbleiben. Spuren für die Ewigkeit hat er speziell in Hamburg hinterlassen, wo er sieben Jahre als Erster Bürgermeister waltete. Dort steht seit fast 18 Monaten die Baustelle am »Elbtower« still. Was einmal das dritthöchste Hochhaus Deutschlands werden sollte, beschämt die Hansestadt heute als Mahnmal des Größenwahns. Neben dem insolventen Investor René Benko ist auch Scholz gescheitert. Er verschaffte dessen Signa-Holding seinerzeit quasi als letzte Amtshandlung überraschend den Zuschlag. Und es gibt Hinweise, dass er den Tiroler Immobilienmogul kurz davor getroffen hatte. Aber Scholz und die Senatskanzlei streiten das ab.

Seit Dienstag hat die Elbmetropole noch ein »schweres Erbe« (Handelsblatt) der einstigen Scholz-Regentschaft zu schultern. In der Hafencity wurde das »Überseequartier« eröffnet, ein Megakomplex auf der Fläche von zehn Fußballfeldern, bestehend aus 14 Gebäuden mit 580 Luxuswohnungen, drei Hotels, Büroräumen und angeschlossenem Terminal für Kreuzfahrtschiffe. Herzstück des Protzprojekts ist das Westfield-Shoppingcenter, das auf fast 100.000 Quadratmetern 170 Geschäften, Restaurants, Arztpraxen, einem Multiplexkino, einem Kunstzentrum und einer Lego-Erlebniswelt Platz bietet. Nach den Plänen von Unibail-Rodamco-Westfield (URW), dem französischen Immobilien- und Investmentkonzern, soll der Konsum- und Kommerztempel jährlich 16 Millionen Besucher anlocken und so Hamburgs zukünftiger Touristenmagnet werden.

Allerdings werfen die Glas- und Glitzerfassaden tiefdunkle Schatten – auf die Vergangenheit wie die Zukunft. Während der achtjährigen Bauphase kamen sechs Arbeiter ums Leben. Einer davon Ende Januar 2022, fünf weitere stürzten im Oktober 2023 mit einem offenbar überlasteten Gerüst in einen Fahrstuhlschacht. Am Dienstagnachmittag versammelten sich Mitglieder der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG Bau) vor Ort zu einer Mahnwache mit anschließender Kundgebung. Medienberichten zufolge waren die Verstorbenen illegal, mit falschen Identitäten und zu Dumpinglöhnen beschäftigt, verfügten aber über Papiere des Betreibers. Laut Mitteilung der IG Bau haben die Hinterbliebenen bis heute keine Entschädigung, geschweige denn Aufklärung dazu erhalten, »wie es zu den regelmäßigen Unglücken auf der Baustelle kommen konnte«.

Fast schon selbstredend sind die Kosten zur Errichtung des »Überseequartiers« explodiert. Die Eröffnung wurde mehrmals verschoben. Aus anfangs kalkulierten 977 Millionen wurden am Ende 2,4 Milliarden Euro. Um das zu stemmen, trennte sich URW gleich von mehreren deutschen Shoppingcentern. Augenscheinlich glauben die Macher an den ganz großen Wurf, und hier kommt Scholz ins Spiel. Eigentlich hätte das Projekt bereits 2010 realisiert sein sollen. Aber unter dem Eindruck der Weltfinanzkrise nahmen die damals beteiligten Banken Reißaus. Weil aber die Baugrube schon ausgehoben war, habe der damalige Stadtvater »händeringend nach einem neuen Bauherrn und Betreiber« gesucht, wie am Dienstag das Handelsblatt schrieb. Fündig wurde er 2014, aber nur gegen das Zugeständnis an URW, die Verkaufsflächen für Einzelhändler zu verdoppeln.

Das dürfte sich rächen, Kritiker fürchten, dass noch mehr Kaufkraft aus der Innenstadt abgezogen wird. Dabei herrscht dort schon jetzt hoher Leerstand, 2024 haben laut Handelsverband Nord rund 150 Geschäfte dichtgemacht. Die Handelsberatung BBE hat errechnet, dass die City durch die mächtige Konkurrenz mindestens 4,5 Prozent, im ungünstigsten Fall zehn Prozent des Umsatzes einbüßen wird, verbunden mit spürbaren Arbeitsplatzverlusten. Verhindern ließe sich das Schlimmste allenfalls, wenn die Stadt eine attraktive Verbindung zwischen der alten und der neuen Einkaufsmeile herstellt, städtebaulich und durch neue Angebote im Nahverkehr. Das jedoch wird teuer für den Steuerzahler. Wie so vieles in Scholz’ Vita.

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