»Entweder du kannst das oder nicht«
Von Oliver Rast
Bis alle Gürtel angelegt sind, das dauert. Einer um die Hüfte, einer schräg über den Brustkorb, einer über den rechten Unterarm, gleich zwei über den linken. Dazu der Siegerkranz vor ihr am Boden, angelehnt an die Beine. Ein Moment für die Ewigkeit, ein historischer. Tina »Tiny« Rupprecht ist die Unangefochtene, die Unbestrittene – oder: Undisputed Championesse der vier großen Weltverbände WBC, WBA, WBO und IBF. Im Atomgewicht, der leichtesten Gewichtsklasse im Profiboxen der Frauen bis 46,3 Kilogramm. Zudem ist die 32jährige Augsburgerin Trägerin des Gürtels des renommierten The Ring-Magazins. Eine Extraauszeichnung.
Rupprecht siegte am Samstag abend in der Potsdamer MBS-Arena gegen Sumire Yamanaka aus Japan. Im Vereinigungskampf der Weltverbände über zehn Runden je zwei Minuten; knapp, aber verdient. Per Mehrheitsentscheidung (95:95, 96:95, 99:91). Rupprecht hatte im Januar vergangenen Jahres den Titel nach Version der WBC gewonnen, im November dann die weiteren der WBA und der WBO. Yamanaka war IBF-Weltmeisterin.
Zum Fight: Die Kontrahentinnen beginnen dynamisch, mit hoher Schlagfrequenz. Rupprecht glänzt mit beweglichem Oberkörper, flinker Beinarbeit, will Yamanaka kein festes Ziel bieten. Die japanische Rechtsauslegerin – die rechte ist die Führhand, die linke die Schlaghand – sucht den Infight, will die Distanz überwinden. Das gelingt mit Aufwärtshaken, aber nur vereinzelt. Rupprecht behält zumeist die Oberhand, kontert. Von den Rängen in der mit 2.500 Zuschauern ausverkauften Halle schallt es: »Tina, Tina!«
Dann Runde vier. Rupprecht stürmt nach dem Gong vorwärts, attackiert ihre Gegnerin überfallartig, feuert Schlagsalven ab. »Ja, Mitte des Kampfes wollten wir ein Signal setzen«, wird Rupprechts Trainer Alexander Haan nach dem Fight im jW-Gespräch verraten. Was auffällt: In den Rundenpausen kniet Haan vor seinem Schützling, Trinkflasche in der rechten Hand, Handtuch in der linken. Der Blickkontakt ist intensiv, die Ansagen des Coaches sind präzis. Haan gibt Schlagkombinationen für die nächsten zwei Minuten vor. Taktische Finten, technische Varianten als Trockenübung. Die Marschroute für den Sieg.

Das Gefecht im Seilgeviert bleibt spannend, hochexplosiv. Körpertreffer wechseln mit Kopftreffern auf beiden Seiten. Oftmals verpuffen die Schläge aber in der Doppeldeckung. Klar ist in den verbleibenden drei Runden: Der Kampf wird über die Kondition entschieden. Und da ist Rupprecht einen Tick besser. Das Trainingscamp in Usbekistan, die Ausdauereinheiten im Bayerischen Wald zahlen sich aus. Einen Schockaugenblick gibt es noch: Rupprecht fällt in der neunten Runde. Ohne Schlagwirkung, ein Stolperer. Durchatmen. Das Publikum reagiert sofort: »Tina, Feuer frei!«
Haan schärft seiner Athletin in der letzten Rundenpause nochmals ein: »Nichts verschenken, du bist hier die Königin!« Rupprecht behält auch in Runde zehn die Übersicht, macht Eindruck bis zum Schluss. Das reicht. Mehr noch: Die Faustkämpferin von Promoter Ulf Steinforth und Manager Benedikt Poelchau ist die erste Vierfachweltmeisterin hierzulande. Ein Novum, Rupprecht hat deutsche Boxsportgeschichte geschrieben. Ist auf dem Zenit.
Bloß, wie bleibt man dort? Zunächst, so Rupprecht gegenüber jW auf der Pressekonferenz nach dem Triumph: »Du musst in der Lage sein, 120 Prozent zu geben, um in der absoluten Weltspitze zu sein.« Und weiter: »Entweder du kannst das oder nicht.« Ein Erfolgsrezept.
Ein Rezept gleichfalls für die erste Pflichtverteidigung in den kommenden Monaten. Hergeben will Rupprecht die Gürtelsammlung nicht. Keineswegs. »Atommacht« will sie bleiben, in ihrer Gewichtsklasse.
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