Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Abheben

Vorstellung des Koalitionsvertrags
Von Arnold Schölzel
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Bilder einer Vorstellung

Die Kräfteverhältnisse in der Welt ändern sich zuungunsten der USA und ihrer Verbündeten, die das bleiben – unabhängig von Zollstreit und Gekläff. China und andere bieten dem Imperium die Stirn in einer Weise, die noch vor kurzem unvorstellbar war. Die Weltkriegsgefahr bleibt so hoch wie zuletzt 1962 oder 1983, nicht zuletzt, weil die europäischen NATO-Mitglieder den Stellvertreterkrieg in der Ukraine weiterführen. Die internationale Situation fand dennoch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages am Mittwoch nur ein schwaches Echo. Friedrich Merz sprach von »wachsenden Spannungen«, Lars Klingbeil metapherte: Gegenwärtig finde eine »Neuvermessung der Welt« statt.

Das Im-Vagen-Bleiben bei Benennung von Lage und Zielen charakterisiert den neuen deutschen Imperialismus. Helmut Kohl verkündete in seiner ersten Regierungserklärung nach dem DDR-Anschluss am 30. Januar 1991: »Es gibt für uns Deutsche keine Nische in der Weltpolitik. Es darf für Deutschland keine Flucht aus der Verantwortung geben.« Das klang 2013, als das Strategiepapier »Neue Macht. Neue Verantwortung« herauskam, schon angriffslustiger. Der unglückssüchtige Joachim Gauck, der zusammen mit der damaligen Kriegsministerin Ursula von der Leyen und dem seinerzeitigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Januar 2014 auf der Münchener Sicherheitskonferenz dazu aufrief, die »Verantwortung« bewaffnet wahrzunehmen, markierte Zwischenstationen. Die »Zeitenwende«-Koalition bereitete 2022 die Startbahn vor, von der das zukünftige Regierungsbündnis nun abheben will. Dessen Programm stand neun Tage nach der Wahl vom 23. Februar fest, als Merz und Klingbeil ihr Hochrüstungsziel bekanntgaben. Das war der Zweck der »Ampel«-Auflösung und der Neuwahlen: Das deutsche Kapital hatte entschieden. Handwerklich wäre es mit dem Billionenprogramm nicht schwieriger geworden, wenn das BSW in den Bundestag gekommen wäre und dann wohl eine Koalition aus CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen hätte gebildet werden müssen. Die Bündnisgrünen setzten sich am Montag nach der Wahl an die Spitze und verlangten, den alten Bundestag über die Grundgesetzänderung fürs Aufrüsten – im Klingbeil-Sprech hieß das am Mittwoch »Bereichsausnahme« – abstimmen zu lassen. Ihre Hilfe für die zukünftige Koalition ist sicher, wenn die auf Kriegskurs gegen Russland bleibt.

Der deutsche »Schläfer«-Imperialismus reckt sich. »Verantwortung« hat ausgedient, sie kam am Mittwoch nicht mehr vor, dafür »neue Stärke« (Merz) und »Deutschland ist wieder da« (Markus Söder). Der Rest ist Erfüllung der AfD-»Remigrations«-Phantasie, die in Umfragen gerade die CDU überholt, plus Hoffnung auf Rückkehr von Wirtschaftswachstum – durch Rüstung. Das basiert auf Ignoranz dessen, was in der Welt geschieht, und enthält wieder einmal nur Absagen an Frieden. Das Wort fiel am Mittwoch nicht.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (10. April 2025 um 11:08 Uhr)
    Die »Ignoranz« hätte ich mir ausführlicher analysiert gewünscht. Wenn man von falschen (irrealen) Annahmen ausgeht, sind auch die Mittel zur Erreichung der gesteckten Ziele zwangsläufig fehlerhaft. Da helfen keine Supermilliarden von Euros, die, wie üblich in diesem Staatswesen und der EU mit der Gießkanne verteilt werden. Ja, ich befürchte, es wird Krieg geben. Aber vor Deutschland habe ich da keine »Angst«. Nichts von dem, was jetzt angedacht ist, wird am Ende funktionieren. Dieser Staat ist dysfunktional und kann mit der Realität nicht mehr Schritt halten. Es wird aber nachhaltig Wohlstand vernichtet werden und das wirtschaftliche Korsett wird zerstört werden. Insofern gehe ich davon aus, dass das Wolkenkuckucksheim der westdt. Politik-»Mafia« und ihrer Satrapen kein verwendbares Ergebnis zustande bringen wird, will sagen: Ganz viel Wollen, aber nix Können. Hochrüstung heißt noch lange nicht »Kriegstüchtig«. Ein Begeisterungstaumel bei der Bevölkerung ist ebenso nicht auszumachen. In den Arm fallen, muss man ihnen deswegen natürlich trotzdem …

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