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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 5 / Inland
Streiks im öffentlichen Dienst

Angebot Schlichterspruch

Verdi-Tarifkommission empfiehlt BVG-Beschäftigten Annahme der Schlichtung. Erzwingungsstreik ist noch nicht vom Tisch. Berlins Streikende vereint
Von Niki Uhlmann
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An rund 80 Betriebshöfen haben Gewerkschafter einen Großteil der Belegschaft für Verdi und Streikbewegung gewonnen

Nach sechs ergebnislosen Verhandlungsrunden seit Januar 2025 und einem Schlichterspruch bahnt sich im Entgelttarifstreit bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) eine Einigung an. Am Donnerstag abend schlug der Konzern das Schlichtungsergebnis als Angebot vor. Daraufhin hat die Tarifkommission den Gewerkschaftsmitgliedern der BVG die Annahme empfohlen, wie Verdi gleichentags mitteilte. Bis zum 28. April werden die Mitglieder abstimmen, ob sie annehmen oder mittels unbefristetem Streik ein besseres Ergebnis erzielen wollen.

Das Angebot sieht eine Erhöhung des Grundgehalts um 380 Euro ab dem 1. Juni 2025 und um weitere 50 Euro ab dem 1. Januar 2026 vor. Verdi und Beschäftigte hatten zu Beginn der Verhandlungen ein Lohnplus von 750 Euro gefordert. Verlangt hatten sie zudem 200 Euro Schichtzulage, 300 Euro Fahrdienst- beziehungsweise Wechselschichtzulage und ein 13. Monatsgehalt. Angeboten werden ihnen nun eine Schichtzulage von 130 Euro, eine Fahrdienstzulage von 255 Euro, eine Wechselschichtzulage von 225 Euro und eine Erhöhung der Weihnachtszuwendung um 100 Euro. Bei der Laufzeit wurde sich auf zwei Jahre geeinigt.

Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt bezeichnete das Angebot vor dem Hintergrund der schmerzlichen Reallohnverluste, die die rund 16.000 Beschäftigten der BVG zuletzt verkraften mussten, als »das Mindeste, was notwendig war«. Mehr könne man »unter den aktuellen politischen und finanziellen Bedingungen« allerdings nicht durchsetzen. »Fakt ist jedoch, dass wir mit diesem Abschluss lediglich das ausgleichen, was wir in den letzten Jahren verloren haben«, erklärte Tarifkommissionsmitglied Sven Golbig, der sich »schwergetan« habe, die Annahme zu empfehlen. Dennoch mache ihn die »neue Geschlossenheit als Belegschaft« stolz. »Diese werden wir in den kommenden Jahren brauchen.«

Ob für oder gegen das Angebot gestimmt werde, sei aktuell nicht abzusehen, sagte Verdi-Vertrauensleute-Sprecher Manuel von Stubenrauch gegenüber jW am Freitag. Immerhin lande man wieder auf den vorderen Plätzen im Vergleich der Einstiegsgehälter von regionalen Nahverkehrsunternehmen. Zuletzt wurde die BVG abgehängt und hatte darum mit Personalschwund zu kämpfen. Mit den Worten »BVG auf Spitzenplatz im Bundesvergleich«, warb auch der Konzern für das Angebot. BVG-Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe sprach von einem »nachhaltigen Kompromiss«. Von einem »wertschätzenden Signal« kann indes keine Rede sein, da die Chefetage bis zur Abstimmung über den Erzwingungsstreik weitgehend gemauert hatte.

Die Gewerkschafter haben bei der BVG effektives Organizing geleistet. Am Mittwoch abend berichteten zwei Beschäftigte auf einer Versammlung des Bündnisses »Berlin steht zusammen« vom Aufbau der Streikbewegung. Betriebshofverantwortliche wurden bestimmt, um das Kollegium vor Schichtbeginn über die Tarifrunde aufzuklären. »Bringt ja eh nichts«, habe es anfangs geheißen, schilderte Jan. Doch aus 52 wurden schnell 200 Verantwortliche, die letztlich mehr als 1.000 neue Gewerkschaftsmitglieder gewonnen haben. Neu sei auch die kontinuierliche Rückkopplung der Verhandlungsergebnisse, ergänzte Chrissie: »Alle können mitentscheiden.«

Auf der Versammlung wurde zudem der Rückhalt der Kollegen aus anderen Sparten des öffentlichen Diensts deutlich. »Unsere Verantwortung für die Stadt muss honoriert werden«, mahnte Tobias, Elektrotechniker bei der Charité Facility Management. Die Beschäftigten der Servicegesellschaft der Charité-Klinik hatten zwecks Eingliederung in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ebenfalls für einen unbefristeten Streik gestimmt – wie bei der BVG mit überwältigender Mehrheit. Das goutierten auch Beschäftigte, die zwar im TVöD sind, sich aber mit der verhandlungsunwilligen Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände herumschlagen mussten. Würde weiterhin schlecht bezahlt und an der öffentlichen Daseinsvorsorge gespart, sei mit Einschränkungen, letztlich mit einem Verlust von Lebensqualität zu rechnen, hieß es unisono. Die Streiks sind folglich nicht nur Eigennutz, sondern dienen auch dem allgemeinen Interesse an lebenswerten Kommunen, zumal der TVöD als einflussreichster Flächentarifvertrag Strahlkraft hat.

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