Arme außen vor
Von Gudrun Giese
Während die Sozialdemokraten mit Verweis auf die im Januar geänderte Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission 15 Euro für die Stunde als Lohnuntergrenze in erreichbarer Nähe sehen, attackierte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag als reine Absichtserklärung. Dass ab 2026 diese Erhöhung zustande komme, hätten die Koalitionäre in spe »so nicht verabredet«, sagte Merz im vielzitierten Interview mit Bild am Sonntag. Es gebe keinen gesetzlichen Automatismus. Es sei nur vereinbart, dass die Mindestlohnkommission in Richtung 15 Euro denke.
Das aufgeregte Geschnatter im Anschluss an dieses Interview machte deutlich, dass sich Union und SPD mit ihrem Koalitionsvertrag tatsächlich nur auf interpretierbare Allgemeinplätze verständigt haben. »Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren«, heißt es dort wörtlich. Auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 »erreichbar«.
Oder eben auch nicht, denn eine verbindliche Festlegung bedeutet dieser Passus keineswegs. Außerdem haben die Parteien ihre vergangene Woche vollmundig angekündigten Vorhaben wie die Erhöhung des Mindestlohns sowie die steuerliche Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen unter »Finanzierungsvorbehalt« gestellt. Unter dieser Prämisse erscheint die Anhebung der gesetzlichen Lohnuntergrenze von jetzt 12,82 auf 15 Euro mehr als fraglich.
Theoretisch könnte an dieser Frage aber auch das Zustandekommen der geplanten Koalition scheitern. Die SPD lässt ab diesem Dienstag bis zum 29. April die Basis darüber abstimmen. Bereits vorab haben manche sich im linken Spektrum ihrer Partei verortenden Mitglieder ihre Ablehnung einer gemeinsamen Regierung mit CDU/CSU erklärt. Dagegen verabreichen die SPD-Oberen Beruhigungspillen, etwa Fraktionsvizechefin Dagmar Schmidt, die am Wochenende signalisierte, in der Mindestlohnfrage hart bleiben zu wollen.
»Die SPD steht zu ihrem Wort: Leistung muss sich lohnen – für die hart arbeitende Mitte, nicht nur für wenige«, zitierte die Süddeutsche Zeitung. Im Koalitionsvertrag sei »klar die Orientierung am europäischen Mindestlohnziel, also 60 Prozent des Medianlohns, verankert«. So werde sich der Mindestlohn »dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln«. Bei genauer Analyse bleibt ihre Aussage damit wachsweich, denn »in Richtung 15 Euro« wäre auch gegeben, wenn die Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2026 auf 13 Euro heraufgesetzt würde. Das entspräche zwar nur einer Anhebung um 12 Cent, aber es wäre eine in die vorgegebene Richtung.
Auch die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner blieb vage in ihren Einlassungen zum Thema. Gegenüber der Süddeutschen mahnte sie eine »Weiterentwicklung« an. Für entsprechende Vereinbarungen sei »die Mindestlohnkommission der richtige Ort«. Deutlicher für die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns positioniert sich Verdi, wo allerdings auch viele Mitglieder von der Lohnuntergrenze betroffen sind. Andrea Kocsis, stellvertretende Verdi-Vorsitzende und Mitglied der Mindestlohnkommission, stellte im Februar fest, Millionen Menschen in Deutschland arbeiteten auf der Basis des Mindestlohns.
Diese Beschäftigten hätten angesichts »weiter steigender Lebensmittelkosten, Mieten und Mobilitätskosten größte Probleme, das tägliche Leben einigermaßen zu bewältigen«. Würde schon heute die Vorgabe der EU-Mindestlohnrichtlinie eingehalten, wonach die Lohnuntergrenze bei sechzig Prozent des Medianlohns liegen müsse, wäre der Stundensatz bereits auf mehr als 14 Euro angehoben. 2026 seien dann »mindestens 15 Euro pro Stunde« fällig. Der Streit zu Lasten der Schlechtverdiener wird aber wohl weitergehen.
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