Planet im Hitzestress
Von Felix Bartels
Mit dem Fieber steigt nicht nur die Temperatur. Es bringt ein Bündel von Ungelegenheiten mit sich, der Körper gerät aus den Fugen. Wie der Erdball. Globale Erwärmung bedeutet mehr als bloß Abschmelzen kontinentalen Eises, kurze Hosen im März und Riesling ohne Säure. Die Permafrostböden in Alaska drohen Methan freizusetzen, was den ohnehin galoppierenden Treibhauseffekt weiteren Schub gäbe. Kippunkte kippen, das Geosystem gerät aus dem Gleichgewicht. Nicht einfach wärmer, nicht einfach trockener wird es, wärmeres Klima führt zu extremem Wetter. Viel zu viel Hitze, abgelöst von viel zu viel Kälte. Anstelle relativ gleichmäßigen Niederschlags über das Jahr hinweg wechseln sich viel zu lange Trocken- und viel zu lange Regenperioden ab. Den menschengemachten Klimawandel haben wir bewältigt. Der klimagemachte Menschenwandel steht aus. Die sogenannte Staatengemeinschaft reagiert auf den Klimawandel mit Klimahandel.
Das vergangene Jahr war nicht nur das bislang heißeste in Europa seit Datenerfassung, es war auch geprägt von heftigen Stürmen und Überschwemmungen. Von Extremwetterlagen betroffen sahen sich etwa 413.000 Menschen, mindestens 335 Menschen wurden infolge damit verbundener Ereignisse getötet, wie aus einem am Dienstag veröffentlichten Klima-Zustandsbericht hervorgeht. Laut dem Report »European State of the Climate 2024« des EU-Klimawandelerfassungsdienstes Copernicus sowie der Weltorganisation für Meteorologie lässt sich für die klimatischen Verhältnisse Europas im Jahr 2024 ein ausgeprägter Ost-West-Gegensatz konstatieren. So herrschten auf dem gesamten Kontinent durchaus hohe Temperaturen, im Osten aber bei extrem trockenen Bedingungen, im Westen bei ziemlich feuchter Witterung. Westeuropa erlebte eines der zehn niederschlagreichsten Jahre seit 1950. »Der Bericht 2024 zeigt, dass fast ein Drittel des Flussnetzes die Hochwasserschwelle überschritten hat und dass der Hitzestress in Europa weiter zunimmt«, erklärte die Generaldirektorin des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen, Florence Rabier.
Besonders stark von Hochwasser betroffen war laut dem Bericht die spanische Region Valencia. Weitere schwere Überschwemmungen gab es in Teilen Deutschlands, Polens, Österreichs, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei, Rumäniens und Italiens. Verwiesen wird auf Erkenntnisse des Weltklimarats IPCC, nach denen Europa zu den Regionen weltweit gehört, für die der stärkste Anstieg eines Überschwemmungsrisikos vorhergesagt wird. Die Zahl der Tage mit starkem bis extremem Hitzestress war 2024 in Europa die zweithöchste seit Datenerfassung. Von starkem Hitzestress spricht man ab 32, von extremem ab 38 Grad Celsius. Die Zahl der Frosttage ging deutlich zurück. Die Meeresoberflächentemperaturen lagen in den europäischen Bereichen um 0,7 Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Im Mittelmeer seien die Durchschnittswerte sogar um 1,2 Grad überschritten worden. Alle betroffenen Regionen Europas verzeichneten einen Eisverlust. Die Gletscher in Skandinavien und Spitzbergen sogar den größten seit Beginn der Aufzeichnungen.
Bereits im Januar hatte das Copernicus-Programm festgestellt, dass das vergangene Jahr sowohl in Europa als auch weltweit das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen markiert. Damit war es das erste, in dem die globale Durchschnittstemperatur die Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau überschritten hat.
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