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Aus: Ausgabe vom 16.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Jacke wie Hose

Einführung der Schulpflicht: Éric Besnards Historiendrama »Louise und die Schule der Freiheit«
Von Norman Philippen
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Historische Lektion: Louise, die Bauernkinder und der Knochenmann

Es war einmal. Acht Jahre nach Verabschiedung der sogenannten Ferry-Gesetze (1881), die eine kostenlose, laizistische und ab 1882 auch obligatorische Schulbildung für alle französischen Kinder der Dritten Republik im Alter von sechs bis dreizehn Jahren garantieren sollte. In einem düsteren Zimmer in Paris erhält eine adrette, nur ganz leicht eingeschüchterte Dame – Louise Violet (Alexandra Lamy) – von einer Off-Screen-Autorität die Anweisung, die neuen, republikanischen Werte pädagogisch in die französische Pampa zu bringen. Der Staat sei sehr milde zu ihr gewesen, nun könne sie sich bewähren. Eine Strafversetzung, so scheint es, an der sie, so der Befehlsgeber, rasch scheitern wird.

Trotz der zunächst dominierenden Düsternis ist helleren Hinguckern natürlich hier schon klar, dass die fatalistische Prognose bestimmt falsch ist. Nach ein, zwei Enttäuschungen und Rückschlägen werden sicherlich tapfere Erfolge gefeiert werden und mit etwas Glück am Ende auch noch Hochzeit.

Mit dramaturgischen Experimenten glänzt Éric Besnards Historienwohlfühlfilm »Louise und die Schule der Freiheit« wahrlich nicht. Er bleibt den Konventionen des Genres so verhaftet wie die störrischen Filmbauern zunächst den ihren. Die Szenerie allerdings ist schön anzusehen, wenn durch die vier Jahreszeiten das Bergdorf in der Auvergne und die Landschaft im Département de la Haute-Loire so wechselhaft erstrahlen. Als Metapher macht sich das Licht beim Thema Bildung-in-die-Bauern sowieso super bien. Wollen die die Vorzüge des von Louise aus Paris mitgebrachten Lichts der Aufklärung respektive der Werte der Dritten Republik nämlich nicht sogleich erkennen und ihren Nachwuchs bildungsmäßig lieber so im Dunkel belassen wie ihre Bauernkaten. »Was bringt uns diese ganze Modernität? Nichts. Die Reblaus saß trotzdem im Weinstock und die Tintenkrankheit in den Maronenbäumen«, sagen sie. Und von der Idee gebildeter Kinder, die auf dem Feld fehlen und am Ende in die Stadt gehen, halten sie naturellement auch nicht viel.

»Ich habe gedacht, ich werde erwartet, ich habe mich geirrt … Unsere Ideen sind nicht bis aufs Land gedrungen«, muss Louise erkennen, die – »Ich bin Louise Violet – wie die Farbe« – ihren Nachnamen nicht zufällig trägt, sondern als Ausweis der Emanzipation, was sie freilich noch nicht wissen kann, wir heute aber eben sehr wohl. Wie soll man seine Bürgerrechte wahrnehmen ohne vorheriges Recht auf Bildung? Wie soll man eine bessere Gesellschaft errichten, wenn niemand lernen will? Fragen, die Louise Violet in ihre vielen Briefe schreibt, aus denen sie als Zuschauerservice aus dem Off vorliest, so dass nebenbei auch etwas Licht auf ihre Vergangenheit geworfen wird – Pariser Kommune, lange Haft, jetzt die Bewährung … Davon weiß mit dem neugierigen Postboten auch der zweite im öffentlichen Dienst befindliche Dorfbewohner. Und erst nachdem Louise sich als trinkfest erwiesen und dem Postboten spontan als Hebamme eine Tochter entbunden hat, sich also als Theoretikerin erweist, die auch mal zupacken kann, bricht selbst im tiefsten Winter das Eis in der ganzen Region, und bald schon kommen die Kinder zum Unterricht in Louises Wohn- und Arbeitskuhstall.

Da das mit Minute 28 aber schon geschieht, ist von einem Knick in der Lehrerkarriere auszugehen. Da bleibt Zeit genug, um den Blick des Bürgermeisters (Grégory Gadebois) auf die Bildungsidealistin zu verfinstern. Denn Gadebois gibt wie bereits in »Délicieux« (deutsch »À la carte! – Freiheit geht durch den Magen«), mit dem Besnard 2021 der Werdung der Grande Nation im Kulinarischen auf die historisch auch eher schmale Spur kommen wollte, den mürrischen Knochen, der für die ein oder andere geschliffene Kante sorgen soll. Es gelingt ihm ganz gut, zumindest hinreichend für das augenscheinliche Anliegen des Regisseurs, seiner Erzählung der Nationengenese ein weiteres Kapitel hinzuzufügen, ohne die Zuschauer dabei mit allzu viel historischen Fakten, längeren Konfliktlinien, tieferen Charakterzeichnungen oder zeittypischen Dialogen zu belästigen.

So wird denn die Historie der laizistischen französischen Schulpolitikreformen zwar nicht groß erhellt, ist aber traumschön ausgeleuchtet. Und es darf auch einmal heiter werden: Als Louise die eifrig Lernenden nach dem höchsten Berg Frankreichs fragt, macht die Schulkuh muh, und Louise: »Das ist nicht die korrekte Antwort«, und alle müssen sehr lachen deswegen. Kann man gucken. Oder auch nicht. So wie es sich – »C’est bonnet blanc et blanc bonnet« – statt dessen auch hüpfen oder springen ließe.

»Louise und die Schule der Freiheit«, Regie: Éric Besnard, Frankreich 2024, 108 Min., bereits angelaufen

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