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Aus: Ausgabe vom 16.04.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Transhumanismus

Von Barbara Eder
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Transhumanisten wollen Menschen nicht mehr nur biomechanisch verbesseren, sondern die ganze Art »transzendieren«

Es ist eine Welt der technisch optimierten Superintelligenz, die den Lesern von Leif Randts Science-Fiction-Roman »Planet Magnon« kühl entgegentritt. In ihr organisieren Menschen sich in Lifestyle-Kollektiven, eine künstliche Intelligenz namens »Actual Sanity« koordiniert ihr Zusammenleben: Ein postdemokratischer Apparat regelt den öffentlichen Verkehr ebenso wie die Vergabe von Wohnraum. Ähnlich verhält es sich in Raphaela Edelbauers Roman »Dave«: Die gleichnamige Rechenmaschine ist kein Werkzeug, sondern ein metaphysisches Totalprinzip gesellschaftlicher Organisierung. Der Supercomputer dient nicht bloß als Hilfsmittel beim Sortieren, Gruppieren und Verwalten von Datensätzen, als transzendentale Entität trifft er sämtliche Entscheidungen. Die maschinelle Verarbeitung von Informationen wird als menschenähnlich dargestellt – und die Unterscheidbarkeit zwischen Mensch und Maschine damit nivelliert.

Beide Romane transportieren ein entpolitisiertes Technikbild, getragen von posthumanistischer Erlösungssehnsucht und technokratischen Machbarkeitsphantasien. Literatur erweist sich in diesem Fall als Apologie einer Ideologie, die gegen Ende der neunziger Jahre im US-amerikanischen Silicon Valley aus der Taufe gehoben wurde. Dort hat die Theorie der technologischen Singularität ältere Vorstellungen von der biomechanischen Verbesserbarkeit des Menschen beerbt: An die Stelle des durch den Unternehmer Max Moore begründeten Extropianismus, demzufolge Alter und Tod mittels kryonischer Selbstkonservierung im Stickstofftank überwunden werden sollen, ist die der kognitiv-kybernetischen Optimierbarkeit getreten.

Im Zuge der Programmierung erster Systeme, welche die Anpassung von Algorithmen in Reaktion auf neue Dateninputs vorsahen – irrtümlicherweise auch als »maschinelles Lernen« bezeichnet – glaubte der KI-Millionär und Technologieunternehmer Ray Kurzweil die Intelligibilität von Computern entdeckt zu haben. Daraus schlussfolgerte er, dass alle weiteren Entwicklungen nicht mehr vorhersehbar seien und es infolge eines exponentiellen Wachstums zu einer »Intelligenzexplosion« kommen müsse. Der schwedische Technometaphysiker Nick Bostrom radikalisierte die auf Basis falscher Prämissen gewonnene Erkenntnis: Sein Konzept des »Singleton« setzt die Existenz einelementiger Mengen voraus, die sich rekursiv verbessern und somit ins Stadium der Selbstprogrammierung übergehen würden. Infolgedessen könne ein Singleton beliebig viele Atome miteinander kombinieren und somit Materie nach eigenem Willen formen. Die Vorstellung, dass KI sich demnächst selbst klonen könne, geht auf derartige Annahmen zurück.

Transhumanistische Ideologeme verleihen dem Mythos KI den nötigen philosophischen Unterbau. Dabei kollidieren entgleiste Metaphern mit einem weitverbreiteten Repräsentationsproblem und allfälligen Übersetzungsfehlern. Das computierbare »Intelligence Service« aus den USA scheint mit dem philosophisch-psychologischen Begriff von Intelligenz wenig zu tun zu haben. Bostrom, Kurzweil und andere in ihrer Gesamtzahl überschaubare Anhänger der Singularitätstheorie setzen stillschweigend voraus, dass Techniken zur automatisierten Datenverarbeitung ab einem bestimmten Komplexitätsgrad menschliche Fertigkeiten besitzen. Demnach kommunizierten Menschen ebenso signalhaft wie Computer, ihre Essenz könne durch ausreichend viele Datensätze operationalisiert werden. Sobald alle Arbeiter digital abgebildet sind, lassen sich diese dann auch über einen Supercomputer steuern. Was für die Fahrer von Uber und Deliveroo schon jetzt Realität ist, soll den Visionen Bostroms zufolge für alle Zukunft haben. In seinem 2018 veröffentlichten »Letter from Utopia« heißt es: »Für Investoren dürfte es am profitabelsten sein, von sich aus für den Mindestlohn arbeitende ›freiwillige Sklaven‹ zu erschaffen, indem sie die gefügigsten Arbeiter kopieren.«

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