»Triage« im Brückenbau
Von David Maiwald
Der Magdeburger Ring ist dicht. Denn die Brücke der sogenannten Tangente, die sich über den zentralen Cityzubringer der Ernst-Reuter-Allee spannt, wird abgerissen. Wie beim Brückenteil der Berliner Stadtautobahn A100 kommt auch an der Elbe einem Zusammenbruch die kontrollierte Zerstörung zuvor. Das soll ein Szenario wie den Einsturz der Dresdner Carola-Brücke im September 2024 vermeiden. Der sachsen-anhaltinischen Domstadt droht für die kommenden Monate ein Verkehrschaos, denn der Abriss nebst folgendem Neubau von Behelfsbrücken macht den Auto-, Straßenbahn- und Fahrradverkehr in Richtung Hauptbahnhof oder Rathaus unmöglich. Auch auf Fußgänger kommen erhebliche Umwege hinzu.
Das sind drei Beispiele von Zehntausenden, meldete am Mittwoch das europäische Organisationsbündnis Transport & Enviroment (T & E). Denn im gesamten Bundesgebiet seien etwa 16.000 Brücken in unterschiedlichen Graden sanierungsbedürftig, teilte das Bündnis mit, dem hierzulande etwa die Deutsche Umwelthilfe (DUH) angehört. Das Bundesverkehrsministerium geht aktuell von mehr als 12.000 zu erneuernden Brücken aus, die meisten davon an Autobahnen (8.000) und Bundesstraßen (3.000).
Die Autobahn GmbH des Bundes hatte in einer eigenen Analyse vor einigen Jahren 8.000 marode Bauteile ausgemacht. Ampelverkehrsminister Volker Wissing (seinerzeit FDP) gab daraufhin auf einem »Brückengipfel« das Ziel von 4.000 bis 2030 zu erneuernden Überführungen aus. Dafür sollten ab 2026 insgesamt 2,5 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
Doch bundesweit summiere sich ein Sanierungsstau von 100 Milliarden Euro, »allein für den Ersatz der Straßenbrücken«, teilte T & E am Mittwoch mit. Da das Verkehrsministerium nicht mehr »hinterher« komme, die notwendigen Reparaturen oder Neubauten durchzuführen, sei die Autobahn GmbH mittlerweile gezwungen, »eine Triage bei der Modernisierung von Straßenbrücken« durchzuführen, kritisierte der Verband.
Das Verfahren beschreibt eigentlich die vorrangige medizinische Versorgung eines Patienten zum (möglicherweise tödlichen) Nachteil eines anderen, kann aber als Beschreibung von Wissings Sanierungsplan herhalten: Dieser sieht erst nach der Sanierung der ersten 4.000 Brücken die Reparatur weiterer 4.000 Autobahnbrücken vor. Einige bereits als sanierungsbedürftig identifizierte Überwege könnten also noch an die 20 Jahre auf eine Instandsetzung warten müssen.
Wegen »der großen Anzahl und um die vorhandenen Ressourcen bestmöglich einzusetzen, ist eine Priorisierung notwendig«, zitierte dpa am Mittwoch eine Rechtfertigung des Bundesverkehrsministeriums. Die von T & E genannte Anzahl von 16.000 sanierungsbedürftigen Brücken sei »nicht nachvollziehbar«. Das Programm habe zunächst mit der Sanierung größerer Brücken begonnen, bilanzierte das Ministerium den Fortschritt des »Brückensanierungsplans«. Die zusammengenommen 3,2 Millionen Quadratmeter Fläche der 4.000 zu sanierenden Brückenteilbauwerke seien bis Ende 2024 zu rund einem Drittel modernisiert worden. Der Reparaturstau dürfte sich bis zum Jahr 2040 aber noch deutlich verlängern.
Denn werde die Sanierung der Brücken derart »verschleppt«, würden sie »anfälliger für Verschleiß, was mittelfristig zu noch höheren Kosten führt«, fasste das Bündnis zusammen. Zudem bevorzuge das Brückensanierungsprogramm des Verkehrsministeriums vor allem Brücken entlang des transeuropäischen Transportnetzwerks der EU, kritisierte das Bündnis. Das führe zu unverständlichen Bauvorhaben, wobei der Neubau weniger sanierungsbedürftiger Brücken vorgezogen werde, während andere auf eine Reparatur warteten.
Ein Beispiel sei der nun im Abriss befindliche A-100-Abschnitt: Schon länger »als problematischer Fall bekannt«, sei hier nichts geschehen, »während seit Jahren am Ersatzneubau der nördlich gelegenen Rudolf-Wissell-Brücke gearbeitet wird«. So blieben mehr als 12.000 Brücken außerhalb des EU-Transportnetzwerks unberücksichtigt, obwohl sie »nach Kriterien des Bundes ersetzt oder neu gebaut werden müssen«, so T & E.
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