Ostern inmitten des Krieges
Von Helga Baumgarten
In diesem Jahr feiern alle zusammen in Jerusalem: eine Art religiöses Schaltjahr, lokal wird es »Sine Kabiseh« genannt. Die Muslime feierten Eid Al-Fitr am Ende des Fastenmonats Ramadan. Direkt danach begannen die Juden mit dem Pessach-Fest. Für die Christen ist am Sonnabend das eigentliche Osterfest: Sabt Al-Nur, der Sonnabend des Lichtes. Viele Jerusalemer erinnern sich an die guten, alten Zeiten, als einheimische Muslime, Christen und Juden miteinander und nebeneinander in friedlicher Eintracht und in gegenseitigem Respekt gefeiert haben.
Seit der Gründung Israels 1948, für die Palästinenser das Jahr der Nakba, sind Jerusalem und das ganze Land geteilt. 1967 hat Israel eine neue, schlimmere Teilung geschaffen: zwischen den Herren des Landes und den Kolonisierten, den Palästinensern, Muslimen wie Christen. »Oslo« hat nicht den erwarteten Frieden, sondern eine immer stärkere Einzementierung des Siedlerkolonialismus gebracht. Der Gazastreifen wie das Westjordanland wurden durch immer schwieriger zu überwindende Armeesperren, Zäune und Mauern abgetrennt. Seit Oktober 2023 schließlich, unter der ultrarechten Regierung Netanjahu, ist für Palästinenser alles abgeriegelt, unzugänglich und verboten.
Am Ostersamstag darf kaum noch einer in die »Auferstehungskirche«: Für die Christen in Palästina, für alle orthodoxen Christen – anders als für westliche Christen mit ihrem Schwerpunkt auf Grab und Tod – geht es zuerst und vor allem um die Auferstehung, um das Leben. Für die Menschen in der Region, vor allem für die Palästinenser geht es um das Leben, um die Liebe zum Leben, um das Festhalten am Recht auf Leben. Der Dichter Mahmud Darwisch hat es so formuliert: »Wir aber lieben das Leben.« Und die Menschen bestehen auf ihrer Einheit. Auch in diesem Jahr dürfen die Christen aus Gaza nicht nach Jerusalem kommen. Das gilt ebenso für die Christen aus der besetzten Westbank, also aus Bethlehem im Süden und Ramallah im Norden und nicht zuletzt aus der Unistadt Birzeit. Nur ganz wenige werden so privilegiert sein und eine Einreisegenehmigung nach Jerusalem erhalten.
Was genau ist Sabt Al-Nur? An diesem Tag versammeln sich die Gläubigen aller christlicher Konfessionen, die Mehrzahl griechisch-orthodox, aber auch Kopten, armenische Christen und Katholiken in der Auferstehungskirche. Alle warten mit Kerzen auf das Licht. Dann geht der griechisch-orthodoxe Patriarch in das Grab und dort geschieht »das Wunder«, das sich jährlich wiederholt: Die beiden Kerzen, die er trägt, entzünden sich an dem blauen Licht, das vom Stein, auf dem der Leichnam von Jesus gelegen haben soll, aufsteigt, und er bringt es nach außen. Anschließend ruft er in die Menge: »Al Masih Qam!« Christus ist auferstanden! Und die Menge antwortet wie aus einem Mund: »Haqqan Qam!« Er ist wahrhaft auferstanden!
Ein einzigartiges Schauspiel. Die Auferstehung wird so jährlich neu inszeniert und mit überschwänglicher Freude gefeiert: wohl seit dem vierten Jahrhundert. Das Licht wird von einem zum anderen gereicht, bis die gesamte Kirche mit Hunderten von Kerzen erstrahlt. Danach wird es nach außen getragen: in die anderen Kirchen der Altstadt sowie überall in der Westbank (und bis 2023 auch im Gazastreifen). Mit dem Flugzeug wird das »heilige Licht« sogar nach Ägypten, Jordanien, Syrien, in den Libanon, nach Zypern, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, in die Ukraine und bis nach Russland gebracht.
Auch in diesem Jahr errichtet die israelische Grenzpolizei in Jerusalem Sperren, wo immer sie kann, um den Zugang selbst für die Christen in der Stadt so beschwerlich wie möglich zu machen. Parallel dazu stürmen extremistische jüdische Siedler, aufgestachelt vom rassistischen »Sicherheitsminister« Itamar Ben Gvir, den Haram Al-Scharif, den Heiligen Bezirk, um dort mit ihren Gebeten zu provozieren. Damit brechen sie den Status quo, der seit 1967 von allen israelischen Regierungen aufrechterhalten wurde: Der Haram ist für Juden nicht zugänglich. Sie haben die Klagemauer für sich. Doch Ben Gvir ist dabei, das zu ändern.
Dies ist der 35. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit
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