Jesus Cäsar und Julius Christus?
Von Peter Köhler
Ostern, nicht Weihnachten, ist das höchste christliche Fest: Nicht seine Geburt, sondern die Auferstehung Jesu ist Dreh- und Angelpunkt des Glaubens. Dass es keinen Tod mehr gebe und buchstäblich ein ewiges Leben auf Erden sie erwarte, mögen wohl die ersten Anhänger gehofft haben; erst als diese Illusion sich als trügerisch erwies, verschob sich die Hoffnung endgültig aufs Jenseits.
Im Diesseits gelten Fakten und Argumente. Mit dem Christentum sieht es da von Anfang an schlecht aus: Bis heute gibt es keinen einzigen Beweis für die Existenz Jesu, geschweige denn für das Geschehen am Kreuz und danach. Man weiß von mehr als zwanzig Wanderpredigern und Rabbis zur mutmaßlichen Zeit Jesu; sein Name (hebräisch Jehoschua, Joschua, Josua, griechisch-lateinisch Jesus) ist nicht darunter.
Und doch ist dieser Jesus keine bloße Erfindung. Es gibt eine überraschend reale Vorlage: Julius Cäsar. Die Parallelen im Leben wie im Sterben beider sind zu zahlreich, um Zufall zu sein.
Vor 25 Jahren hat der Italiener Francesco Carotta die Theorie entwickelt, dass es sich bei Jesus um einen von römischen auf jüdische Verhältnisse umgedeuteten, dabei vielfach missverstandenen Julius Cäsar handelt – fern von Rom, aber unter dem Einfluss römischer Veteranenkolonien in Palästina und hundert Jahre nach dem Tod des zum Gott erhobenen Cäsar, als es keine lebenden Zeugen mehr gab. In seinem 1999 erschienenen Buch »War Jesus Cäsar? 2.000 Jahre Anbetung einer Kopie« brachte Carotta für seine Theorie eine Vielzahl von Argumenten und Indizien bei. Die folgenden Ausführungen stützen sich wesentlich auf sein Buch.
Zwölf Parallelen zwischen Jesus und Cäsar
1. Beide Namen haben die Initialen JC (oder in antiker Schreibweise: IC).
2. Beide Namen haben eine ähnliche Bedeutung: »Cäsar« wurde zum Titel aller römischen Kaiser (das deutsche Wort leitet sich davon her); »Christus«, die griechisch-lateinische Übersetzung von hebräisch »Messias« ist »der Gesalbte«, d. h. der König (siehe 2 Sam 22, 51). »Julius« war der Name des nach seinem Tod zum Gott erhobenen Cäsar, des Divus Julius; im hebräischen »Josua« oder »Joschua« (griechisch-lateinisch: Iesus bzw. Jesus) steckt die hebräische Bezeichnung »Jahwe« für »Gott« und bedeutet »Jahwe ist das Heil« oder »Jahwe ist die Rettung«.
3. Beide sind am selben Tag des Frühlingsmonats gestorben: Cäsar an den Iden des März, also am 15., Jesus am 15. Nisan.
4. Cäsar starb durch eine Verschwörung der römischen Senatoren, die im Namen der Republik handelten, um die alte Ordnung zu sichern; Jesus starb im Auftrag des Synedriums, des jüdischen Rats der Siebzig in Jerusalem, die im Namen des alten Glaubens auf die Gesetze des Judentums pochten. Cäsars Verbrechen: Er strebte angeblich nach der Alleinherrschaft, wollte König werden. Jesus maßte sich vorgeblich an, König der Juden zu sein.
5. Beide wurden nach ihrem Tod zu einem Gott erhoben.
6. Jesus predigte Nächstenliebe und war ein Sprachrohr des einfachen Volkes, Cäsar war als Feldherr und Politiker berühmt für seine Milde und Volksnähe.
7. Jesu Vorläufer Johannes der Täufer wurde auf Befehl des Herodes Antipas enthauptet, Cäsars älterer Rivale Gnaeus Pompeius Magnus auf Befehl des ägyptischen Königs Ptolemaios XIII. ermordet, und sein abgeschlagener Kopf wurde Julius Cäsar ausgehändigt.
8. Johannes der Täufer soll um 29 n. Chr. geköpft worden sein, Pompeius starb 48 v. Chr. Vier Jahre später wurden Jesus gekreuzigt und Cäsar durch Meuchelmord beseitigt.
9. Beide fielen einem Verräter aus den eigenen Reihen zum Opfer, Decimus Iunius Brutus bzw. Judas; Brutus war ein Günstling von Cäsar, Jesus bevorzugte Judas.
10. Marcus Iunius Brutus, einer der Anführer der Cäsar-Mörder, kam durch Senatsbeschluss frei; Pontius Pilatus ließ Barabbas laufen.
11. Es gibt weitere – mal augenfällige, mal entfernte – Ähnlichkeiten im Personal der Lebensgeschichten von Jesus und Cäsar, zum Beispiel: Jesu Mutter heißt Maria, der Feldherr und Konsul Marius ist Cäsars politischer Ziehvater und verheiratet mit dessen Tante Iulia. Cäsar weilt am Hof des Nikomedes von Bithynien und soll, so die nie verstummenden Gerüchte, ein Techtelmechtel mit dem König gehabt haben; Jesus erhält nächtlichen Besuch von einem Mann mit Namen Nikodemus. Cäsars Gefolgsmann Marcus Lepidus (lateinisch lapis, Genitiv: lapidis, heißt »Stein«) bildet nach Cäsars Ermordung ein Triumvirat mit Cäsars Adoptivsohn Octavian und seinem Testamentsvollstrecker Marcus Antonius, um die Täter zu fassen, Jesus beauftragt Petrus (deutsch: »Felsen«) als seinen Nachfolger, um die Kirche aufzubauen.
12. Das Geschlecht der Julier führte seinen Ursprung auf die Göttin Venus zurück, Cäsar selbst hielt sich für ihren Sohn. Die Sichtweise, die sich nach und nach im Urchristentum durchsetzte, lautet: Jesus ist der Sohn Gottes.
Zwölf weitere Parallelen zwischen Jesus Christus und Julius Cäsar
1. Cäsar begründet seinen Ruhm in Gallien, Jesus zieht durch Galiläa.
2. Cäsar beginnt den römischen Bürgerkrieg in Corfinium, Jesus fängt als Wanderprediger im nicht unähnlich heißenden Kapernaum (Kapharnaum) an.
3. Cäsar befreit Corfinium von dem feindlichen Besatzer, Jesus heilt in Kapernaum einen Besessenen – »besetzt« und »besessen« sind im Lateinischen dasselbe Wort. »Obsessus«.
4. Cäsars Belagerung einer Stadt jenseits des Ionischen Meeres im Land der »Keraunier« scheitert an der feindlichen Übermacht; die gegnerischen Legionen behaupten sich in ihren Schanzen (lateinisch: munimenta). Jesus begegnet am »anderen Ufer des Meeres« (gedeutet als See Genezareth) einem besessenen »Gerasener«, der in den Gräbern (lateinisch: monumenta) wohnt und auf die Frage nach dem Geist, der ihn quält, antwortet: »Legion heiße ich; denn wir sind viele.« (Markus 5, 9)
5. Jesus siegt über die Dämonen, indem er sie in eine Herde Säue treibt, die über einen Abgrund ins Meer stürzen und ersaufen. (Markus, 5, 11–13) Cäsars hungernde Belagerer wühlen in ihrer Not nach essbaren Wurzeln in der Erde und werden von den Belagerten als Schweine beschimpft.
6. Personen, die in Cäsars Leben eine Rolle spielten, treten unter ähnlichen Namen in Jesu Biographie auf: Metellus wird aufgrund eines Verlesers (lateinisch »mutilus« bedeutet »verstümmelt«) zum Krüppel, Clodius (missverstanden als »cladus«) zum Lahmen, Caecilius (verwechselt mit »caecus«) zum Blinden. Ähnlich verhält es sich, wie schon angedeutet, mit Marcus Lepidus, einem von Cäsars Getreuen: Lepidus bedeutet eigentlich »klein, niedlich«, wird aber auf »lapis«, Genitiv: »lapidis«, bezogen, was »Stein« bedeutet, was die Verbindung zu Petrus (»Fels«) herstellt.
7. Sentenzen Cäsars finden sich in Jesu Mund wieder. »Wer auf keiner Seite steht, ist auf meiner Seite«, verkündet Cäsar zu Beginn des römischen Bürgerkriegs; »wer nicht wider uns ist, ist für uns«, lehrt Jesus (Markus 9, 40). Cäsar findet: »Der beste Tod ist der plötzliche«, Jesus fordert Judas auf: »Was du tust (nämlich: mich töten zu lassen), das tue bald.« (Johannes 13, 27) Aus »Ich bin nicht König, ich bin Cäsar« wird bei Jesus: »Wir haben keinen König denn den Kaiser.« (Johannes 19, 15)
8. Selbst das berühmteste Cäsar-Zitat hat ein Echo in den Evangelien. Aus »Ich kam, sah und siegte« wurde skurrilerweise »Ich ging hin und wusch mich und ward sehend«, Worte, die der Evangelist Johannes dem geheilten Blinden in den Mund legt (9, 11) – »ich siegte« (griechisch: »enikisa«) und »ich wusch mich« (griechisch: »enipsa«) kann man leicht verwechseln. Dazu passt, dass aus »Cäsar« bei passender Gelegenheit ein »caecus«, ein Blinder wird.
9. Der im Bürgerkrieg siegreiche Cäsar triumphiert in Rom und wird ebenda ermordet; Jesus zieht triumphal in Jerusalem ein und wird ebenda hingerichtet.
10. Grotesk ist hierbei, wie es Asinius Pollio ergeht, der Cäsar nach Rom begleitete: Aus ihm wird, weil »asinus« fast genauso klingt, der Esel, auf dem Jesus in Jerusalem einreitet.
11. Obwohl Rom und Jerusalem sehr verschieden heißen, können sie verwechselt werden. Im griechischen Namen für Jerusalem »hieROsolyMA« steckt Rom; ein Jude, der Lateinisch und Griechisch schlecht beherrscht und vielleicht flüchtig arbeitet, kann irregehen (zumal man damals keine Wortabstände setzte und die stets handschriftlich niedergelegten Texte schwerer lesbar waren). Zudem wird in den Schilderungen von Cäsars Ende häufig statt »Rom« bloß »die Stadt« gesagt; statt »Cäsar« heißt es auch bloß »er«, sogar die Bezeichnungen »Retter« und »Gottessohn« fallen.
12. Jesus hält sich auch in der Wüste auf und zieht durch die Dörfer. Das griechische Wort »eremo« für Wüste ähnelt »Roma«, besonders wenn man es, wie damals üblich, in Großbuchstaben schreibt; selbst das griechische Wort »komen« für »Dorf« kann man, wenn man flüchtig arbeitet, für den Akkusativ von Rom, »Romam«, halten.
Jesus und Julius – im Tod vereint
1. Cäsar wird erdolcht, Jesus stirbt mit einer seitlichen Stichwunde.
2. Einer der Cäsar-Mörder (und zusammen mit Marcus Brutus ihr Anführer) ist Cassius Longinus; er soll den entscheidenden, tödlichen Messerstich ausgeführt haben. Jesus erhält den Stich mit der Lanze durch den Hauptmann Longinus.
3. Jesus wird auf Golgatha gekreuzigt, die Leichenfeier für Cäsar auf dem Kapitol abgehalten. Beide Namen bedeuten dasselbe: Schädelstätte.
4. Der Name Golgotha ist einzig und allein im Neuen Testament bezeugt, nirgendwo sonst.
5. Jesus wird gekreuzigt, auf der Trauerfeier für Cäsar wird sein aus Wachs geformtes Abbild gezeigt und seine blutverschmierte Toga an einem Holzgerüst, einem Tropäum, aufgehängt.
6. Von einer buchstäblichen Kreuzigung ist im ältesten Evangelium, dem nach Markus, nicht die Rede.
7. Überhaupt sind die griechischen Worte, die das Neue Testament verwendet und die als Synonyme für »Kreuz« und »Kreuzigung« übersetzt werden, vieldeutig und bedeuten eher »Holzpfahl«, »Holzstange«, »Latte«.
8. Merkwürdigerweise hüllt sich Jesus seit seiner Gefangennahme in Schweigen. Das Einzige, was von ihm kommt, ist die einsilbige Replik auf Pilatus’ Frage, ob er der König der Juden bzw. der Sohn Gottes sei: »Du sagst es.« (Matthäus 26, 64 bzw. Markus 15, 2) Selbst hier, an dieser entscheidenden Stelle, sagt Jesus eigentlich nichts, vielmehr hat es Pilatus gesagt.
9. Jesu letzte Worte sollen gewesen sein: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Matthäus 27, 46) oder »Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lukas 23, 34) oder »Es ist vollbracht« (Johannes 19, 30). Dass sie in drei völlig verschiedenen Versionen überliefert sind, spricht dafür, dass sie untergeschoben sind und Jesus wiederum nichts gesagt hat – nichts hat sagen können.
10. Man kann vermuten, dass Jesus bei seinem angeblichen Prozess bereits genauso tot war wie Cäsar bei seiner Leichenfeier.
11. Cäsars Leichnam wurde auf einem Scheiterhaufen (lateinisch: pyra) verbrannt, Jesus wird am Kreuz die ähnlich klingende Myrrhe (lateinisch: murra) in Wein gereicht – vielleicht, weil Myrrhe zu einer jüdischen Bestattung gehört. (Tatsächlich bringt Nikodemus bei der Kreuzabnahme Myrrhe mit.)
12. Jesu Auferstehung war der Sieg über den Tod und der Beweis, dass es sich um Gott handelt. Cäsar wurde nach seinem Tod zum Gott erhoben, zum Divus Iulius, und feierte in Gestalt seines Großneffen, Adoptivsohns und Erben Gaius Iulius Caesar Octavianus seine siegreiche Auferstehung; er bestrafte alle Mörder, bezwang sämtliche Rivalen – und konnte mit Cäsar um so leichter verwechselt werden, als er den Namen Octavianus selbst nicht mehr gebrauchte. Nachdem er sich zeitweise Gaius Iulius divi filius Caesar (Sohn des vergöttlichten Gaius Iulius Cäsar) genannt hatte, ließ er Münzen prägen, auf denen die Formel zu »Divi filius«, Sohn Gottes, abgekürzt wurde; und nach seinem Tod wurde er selbst zu Gott erhoben. Damit waren Gottvater und Gottsohn präsent.
Cäsars Jünger und Jesu Veteranen
1. Der Kult des Divus Iulius, des vergöttlichten Julius Cäsar, war vor allem unter den Soldaten verbreitet. Stationiert waren römische Truppen auch in Palästina, ebenso wurden dort Veteranen angesiedelt. Viele Veteranen nahmen sich einheimische Frauen.
2. Mitte des ersten Jahrhunderts verschwindet der Kult des Divus Iulius von der Bildfläche. Zur gleichen Zeit beginnt sich das Christentum auszubreiten.
3. Es gibt kein Evangelium, das ursprünglich auf aramäisch oder hebräisch verfasst wurde. Es gibt lediglich Evangelien, in denen Zitate und Ereignisse aus dem Alten Testament für das Heilsgeschehen rund um Jesus Christus verwertet werden. Dabei handelt es sich um die drei späteren, erst nach Markus verfassten.
4. Das Markus-Evangelium ist das älteste und dürfte ursprünglich auf lateinisch geschrieben worden sein, da sein Griechisch zahlreiche Latinismen in Wortschatz und Satzbau enthält.
5. Womöglich liegt dem Evangelium nach Markus die (als notwendig anzunehmende, aber verloren gegangene) Cäsar-Biographie nach Marcus Antonius (einem von Cäsars Erben) zugrunde.
6. Diese Cäsar-Biographie wurde über die Jahrzehnte zwischen Lateinisch, Griechisch, Aramäisch bzw. Hebräisch hin und her übersetzt, verballhornt, entstellt, ausgeschmückt und war deshalb voller Verleser und Verschreiber, so dass das Original nahezu unkenntlich ward.
7. Auffälligerweise wurde die erste Christengemeinde außerhalb des Heiligen Landes in Alexandria gegründet, und zwar durch den Apostel Markus. In Alexandria, der Hauptstadt Ägyptens, hatte um 40 v. Chr. Marcus Antonius seine Zelte aufgeschlagen.
8. Soldaten und Veteranen ließen sich überall im Römischen Reich nieder. Das Christentum verbreitete sich schnell im ganzen Reich.
9. Auffällig viele Soldaten wurden Christen. Der erste war der römische Hauptmann Kornelius in Caesarea, dem das zehnte Kapitel der Apostelgeschichte gewidmet ist.
10. Der sogenannten Panthera-Legende zufolge, die allerdings erst im 2. Jahrhundert entstanden sein soll, hatte Jesus einen römischen Soldaten zum Vater (als Mutter blieb die Jüdin Maria).
11. Im 6. Jahrhundert schuf der Mönch Dionysius Exiguus die christliche Jahreszählung. Bei der Bestimmung von Jesu Geburt lag er freilich um vier bis sieben Jahre daneben, während er für einen anderen ein schönes, rundes Geburtsjahr errechnen konnte: Gaius Julius Cäsar, geboren 100 v. Chr.
12. Heute kürzt man die Jahresangaben häufig um die Jahrhunderte (es gibt z. B. die 68er); bis in die frühe Neuzeit verwendete man römische Ziffern: Ein C (für »Hundert«) im Innern der Zahl wegzulassen, fällt weniger auf als hinten eine falsche Ziffer.
Was von Jesus übrig bleibt
1. Die Berichte von der Auferstehung Jesu widersprechen sich. Einmal ist es Petrus, der den Auferstandenen als erster sieht (1 Korinther 15, 4), dann ist es Maria Magdalena (Markus 16, 9), bei den anderen Evangelisten erscheint er den versammelten Aposteln.
2. Seltsamerweise erkennt Maria Magdalena Jesus nicht, sondern hält ihn für den Friedhofsgärtner. Das gleiche widerfährt ihm mit seinen Gefolgsleuten am See Genezareth.
3. Die Jünger, die ihm auf dem Weg nach Emmaus begegnen, merken erst nach Stunden, wer er ist – im selben Augenblick verschwindet er vor ihren Augen (Lukas 24, 31).
4. Der ungläubige Thomas wird erst bekehrt, nachdem ihm Jesus im Kreis der Jünger erscheint und ihn auffordert, seine Wunden zu berühren – dass Thomas es getan hätte, ist dem Bericht von Johannes (20, 24–29) nicht zu entnehmen; dort heißt es nur, Thomas glaube nun, da er den Auferstandenen gesehen habe.
5. »Rühr mich nicht an!« soll Jesus schon zu Maria Magdalena gesagt haben (Johannes 20, 17), als sei er kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern ein Geist, der durch Mauern und verschlossene Türen gehen kann (Johannes 20, 19).
6. Paulus begegnet auf seinem Weg nach Damaskus keinem körperlich Auferstandenen, sondern nimmt bloß »Licht vom Himmel« wahr und hört eine »Stimme, die sprach: Ich bin Jesus« (Apg 9, 1–5).
7. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob Jesus tatsächlich tot war. Eine Kreuzigung führt erst nach Tagen durch Hunger, Durst, Kälte, Blutverlust oder Herzversagen zum Tod, Jesus aber wurde schon nach Stunden vom Kreuz genommen.
8. Zudem widersprechen sich die beiden Berichte von der Kreuzabnahme: Mal sind es Frauen, mal Joseph von Arimathäa und Nikodemus. Gekreuzigte durften eigentlich nicht abgenommen werden, man überließ sie den Geiern.
9. Die Vergöttlichung Jesu geschieht schrittweise – je länger die Geschehnisse zurückliegen, desto näher rückt Jesus in die göttliche Sphäre.
10. Bei Markus erscheint er noch als ungewöhnlicher, kluger Mensch, der besondere Fähigkeiten an den Tag legt und Fragen stellt; bei Matthäus weiß er bereits auf alles eine Antwort; bei Johannes ist Jesu Aufstieg zur Gottheit vollendet.
11. Bei Markus stirbt ein Verzweifelter (»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«), bei Johannes tritt ein Gott in erhabener Ruhe ab (»Es ist vollbracht«).
12. Nicht erst Jesus wird zu Gott, lange vor ihm erfährt der sumerische Held Gilgamesch dieses Glück als Sohn der Göttin Ninsun und des Königs Lugalbanda. »Gottessohn« war ein häufig im orientalischen und hellenistischen Herrscherkult gewählter Beiname; auch Pythagoras und der Philosoph Platon wurden mit diesem Ehrentitel belegt.
Peter Köhler, geboren 1957 in Eschwege, ist Journalist und Schriftsteller und hat zahlreiche Anthologien und Sachbücher veröffentlicht. Er ist Mitglied der satirischen »Neuen Göttinger Gruppe« und gehört der Jury des Satirepreises »Göttinger Elch« an. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle in der Ausgabe vom 9./10. November 2024 in der Erzählung »Bundessepp und Bundesteddy« über eine Begegnung von Theodor W. Adorno und Sepp Herberger
Ende April erscheint:
Peter Köhler: Als Marx im Lotto gewann. Kleine Geschichten über große Geister. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2025, 176 Seiten, 15 Euro
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Hans-Jürgen Heusel aus Berlin (22. April 2025 um 13:37 Uhr)Viermal genau 12 schlagende Argumente – genau wie die Zahl der Apostel: Da hat wohl der Heilige Geist dem Autor ein Schnippchen geschlagen! Im Ernst: Es lohnt sich, das Buch von Carotta zu lesen, weil er ausführlich argumentiert. Kenntnisse in Latein, Griechisch und/oder Hebräisch unterstützen dabei die Akzeptanz seiner Argumentation. Vielen Dank für diesen Artikel. Ein paar Informationen zur Diskussion nach der Veröffentlichung von Carottas steiler These hätten mich noch interessiert: Hat sich je ein christlicher Würdenträger oder ein Historiker hierzu geäußert?
- Antworten
Ähnliche:
- Boris Roessler/picture-alliance / dpa15.02.2024
Im Knast seit 25 Jahren
- Yorgos Karahalis/AP Photo/dpa28.01.2020
Unrentable Pipeline
- Alkis Konstantinidis/REUTERS08.01.2020
Neue Absichtserklärungen
Regio:
Mehr aus: Wochenendbeilage
-
»Die Fahne war in der ganzen Stadt zu sehen«
vom 19.04.2025 -
Rohstoffquellen beherschen
vom 19.04.2025 -
Der Ein-Faktor-Russe
vom 19.04.2025 -
»Dieser Preis gehört euch allen«
vom 19.04.2025 -
Osterfladen
vom 19.04.2025 -
Kreuzworträtsel
vom 19.04.2025