Der Ein-Faktor-Russe
Von Arnold Schölzel
Im deutschnationalen Beobachter, dem Spiegel, gruselt es am 12. April Kolumnist Markus Feldenkirchen vor »neu aufflammendem Antiamerikanismus in Deutschland«. Er habe Bekannte, die wegen Trump nicht mehr Coca-Cola trinken oder ihre Urlaubsreise in die USA stornieren. Das geht nicht. Baerbock-Ministerium und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner haben Russen und Belarussen soeben durch Ausladung Bescheid gegeben: Die Kapitulation von 1945 vor euch ist ungültig. Die wahre und einzige Befreiung vom Faschismus kam durch die Westalliierten. Leute, die den USA heute mit Coca-Boykott kommen, sind fast ein Fall für den Staatsanwalt, verkommen auf jeden Fall: »Anti-USA-Piefigkeit« steht über der Kolumne.
Enttäuschung über Trump, den unsicheren Kantonisten in Russenangelegenheiten, darf zwar sein. Feldenkirchen will zum Beispiel keinen Urlaub im Golfhotel Mar-a-Lago buchen, aber das klingt nach Fuchs und für sauer erklärte Trauben: Ein Tastenbearbeiter des Spiegels, also ein Loser, in der Milliardärshütte? Der käme durch keinen Dienstboteneingang.
Sein Furor über die reichen Rotzlöffel um den orangefarbenen Mann herum bleibt aber Spiegel-gemäß gedämpft, hart bleibt Feldenkirchen gegenüber Coca-Verweigerern: »Es ist aber Blödsinn, US-Produkte zu boykottieren, die es schon seit Ewigkeiten gibt, ganz unabhängig von Donald Trump.« Da gruselt es ihn vor »dieser piefigen deutschen Rechtschaffenheit. Dem Gefühl moralischer Überlegenheit.« Und er packt seine Bekannten am Schlafittchen: »Es ist, als hätten diejenigen, die immer schon einen leicht verschwörungstheoretisch angehauchten Hass auf die USA hatten, von Trump und den Kaspern um ihn herum endlich einen Freifahrtschein bekommen, ihren tiefsitzenden Gefühlen freien Lauf lassen zu können.« Zugelassen ist dagegen schwer verschwörungstheoretischer Hass auf Russen jede Woche im Spiegel. Die sprengen die eigene Gaspipeline, beschießen von ihnen kontrollierte Atomkraftwerke, begehen als einzige auf der Welt Kriegsverbrechen usw. Die Bekannten Feldenkirchens sollten sich ein Beispiel an Alice Weidel und Jens Spahn nehmen, die ihren Gefühlen für Elon Musk oder für Trump freien Lauf lassen.
Schließlich erklimmt Feldenkirchen einen erkenntnistheoretischen Hügel: »Mit hundertprozentiger Eindeutigkeit auf ein Land zu reagieren, kann nur unterkomplex sein. Weil sich so ein Land immer aus zu vielen Faktoren zusammensetzt, als dass man es über einen Kamm scheren sollte, aus verschiedenen Regionen, Menschen, Werten, Traditionen.« Sägt der Mann an seinem Kolumnistenstuhl? In Russland, China, Iran, BRICS oder dem globalen Süden soll es komplex zugehen? Es gebe, wie Feldenkirchen schreibt, nicht »die« USA und »das« Deutschland, sondern »zu viele Faktoren«? Die gibt es bei allem auf der Welt, vom Atom bis zum Spiegel, von der Amöbe bis Feldenkirchen. Das schließt aber nicht aus, dass es ihn und seine Texte gibt. Wer aber zum Beispiel Russland Komplexität zubilligt, der sieht den Feind nicht mehr. Wechselt Feldenkirchen ins Schurkenlager?
Das ist nicht zu befürchten. Vielmehr könnte eine Nutzanwendung seiner komplexen Betrachtungsweise im Sinne von Baerbock und Klöckner sein, dass Deutschland 1945 gar nicht kapituliert haben kann, weil es »das« Deutschland nicht gibt. Zu viele Faktoren. Und sonst nur Hitler. Das Potsdamer Abkommen für Deutschland als Ganzes wurde folgerichtig in der Bundesrepublik stets torpediert, wofür unter anderem die USA sorgten, ohne die es »in Deutschland« laut Feldenkirchen »vermutlich heute keine Demokratie gäbe«. Und vermutlich auch keine US-Atombomben. Aber die Frage ist unterkomplex, nur der Russe droht. Der besteht grundsätzlich aus einem Faktor.
Baerbock-Ministerium und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner haben Russen und Belarussen soeben durch Ausladung Bescheid gegeben: Die Kapitulation von 1945 vor euch ist ungültig.
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