Unrentable Großraffinerie
Von Knut Mellenthin
Von der größten Raffinerie Italiens gibt es gute und schlechte Nachrichten. Beginnen wir mit der guten: Der bei Priolo auf Sizilien gelegene Komplex aus drei Anlagen soll in den kommenden Jahren auf die Verarbeitung von sogenanntem grünen Wasserstoff umgestellt werden. Die ISAB-Raffinerie – das Kürzel steht für Industria Siciliana Asfalti e Bitumi – unterzeichnete am Dienstag vor einer Woche einen entsprechenden Vorvertrag mit den Unternehmen Axpo und Enego. Axpo bezeichnet sich als »größter Energieproduzent der Schweiz« und »international führend im Energiehandel und der Vermarktung von Wind- und Solarkraft«. Enego ist eine französische Holdingsgesellschaft für Investitionen »im Bereich der Energiewende«.
Axpo und Enego hatten schon im April 2024 einen Kooperationsvertrag mit dem Ziel geschlossen, die Machbarkeit einer 100-MW-Anlage für grünen Wasserstoff im Industriekomplex Augusta-Priolo an der Ostküste Siziliens zu prüfen. Als potentielle Abnehmer sind zunächst Industrie- und Transportunternehmen der Region ins Auge gefasst. »Je nach Nachfrage könnte die Kapazität der Anlage auf bis zu 300 MW erweitert werden«, heißt es bei Axpo. Die vor einer Woche präsentierte Vorvereinbarung zwischen Axpo, Enego und der ISAB-Raffinerie rechnet allein für die erste Phase mit Investitionen von mehr als 200 Millionen Euro.
Aber wie realistisch ist das? An diesem Punkt kommt die schlechte Nachricht, die einen Tag vorher, am 14. April, von der Financial Times verbreitet worden war. Von einem schweren Konflikt zwischen den Besitzern der Anlagen in Priolo und ihren Partnern war dort die Rede, von Unrentabilität und Überschuldung der Raffinerie – und von deren hohem Investitionsbedarf, »um wettbewerbsfähig« zu bleiben oder wieder zu werden.
Zum Verständnis der gegenwärtigen Vorgänge muss man Jahre zurückgehen. 2008 war ISAB großenteils, 2014 vollständig vom russischen Lukoil-Konzern übernommen worden. Als im Frühjahr 2022 nach der russischen Militäroffensive gegen die Ukraine die Welle westlicher Sanktionen einsetzte, geriet auch Lukoil unter Druck. ISAB wurde zeitweise unter Treuhandverwaltung gestellt, Verkaufsverhandlungen begannen. Am 9. Januar 2023 berichtete die Financial Times, dass die hundertprozentige Lukoil-Tochter Litasco die Raffinerie an den auf Zypern ansässigen Investmentfonds GOI Energy verkaufen werde, an dem israelische Anleger beteiligt seien. Ganz so schnell ging es jedoch nicht. Vermutlich unter dem Einfluss der US-Regierung wollte sich die seit Oktober 2022 von Giorgia Meloni geführte Regierung in Rom zuerst vergewissern, dass bei dem undurchsichtig strukturierten Käufer keine »russischen Interessen« im Spiel seien.
Am 4. Mai 2023 gab GOI Energy schließlich den Abschluss des Geschäfts bekannt. Der Kaufpreis wurde in den Medien mit 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro angegeben. Als Partner des zypriotischen Fonds wirkte das internationale Rohstoffhandelsunternehmen Trafigura, das seinen Verwaltungssitz in Singapur hat, beim Aufbringen des Geldes mit. Trafigura ist außerdem für die Versorgung der ISAB-Raffinerie mit Erdöl und für den Vertrieb der dort hergestellten Produkte zuständig.
Bei dem Streit, über den die Financial Times am 14. April berichtete, soll es darum gehen, dass der griechische Milliardär George Economou, in dem die Tageszeitung den wirklichen Besitzer von GOI Energy vermutet, Trafigura für die Probleme der Raffinerie verantwortlich macht und den Zehnjahresvertrag zwischen dieser und Trafigura ändern will. Der Konflikt könne »die Existenz einer Raffinerie gefährden, die ein Fünftel der Raffineriekapazität Italiens zur Verfügung stellt, 1.000 Menschen direkt beschäftigt und weitere 8.500 Jobs im örtlichen Gebiet unterstützt«, meint die Financial Times. Zu erwarten ist ein Eingreifen der italienischen Regierung. Denn weil die ISAB-Raffinerie als »strategisches Unternehmen« eingestuft wird, könnte die 2023 erteilte Genehmigung des Verkaufs widerrufen werden.
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