Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Sa. / So., 12. / 13. April 2025, Nr. 87
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Online Extra
12.04.2025, 14:20:21 / Ausland
Antimilitarismus

»Der Nationalismus wird ganz bewusst hochgespielt«

Wie legitimiert Griechenland seinen hohen Militäretat, wohin geht das Geld und was macht das mit dem Land? Ein Gespräch mit einer Delegation griechischer Arbeiter in Berlin
Von Susanne Knütter
JWG_6657(1).jpg
Griechische Delegation im Konferenzraum der jungen Welt. Interview mit Susanne Knütter, 11.4.25, Berlin, Foto (v.l.n.r.): sk, Jenni Margaritopoulou, Athina Arvaniti, Babis Ntinakis, Haris Woganos, Alexandra Pavlou

Der griechische Militärhaushalt ist in Europa einer der größten. Wie groß ist er?

Jenni: In den letzten Jahren sind die Ausgaben für das Militär extrem gestiegen. Von 2014 bis 2024 gab es ungefähr einen Anstieg von 80,9 Prozent. 2024 waren es 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Griechenland steht damit an fünfter Stelle, nach Polen, Estland usw. Für Bildung dagegen werden gerade einmal knapp 2,6 Prozent des BIP ausgegeben. Im Rahmen des kürzlich beschlossenen EU-Aufrüstungsprogramms hat der griechische Premierminister angekündigt, in den nächsten zehn bis zwölf Jahren 25 Milliarden Euro aufzubringen.

Wie ist Griechenland direkt in die aktuellen Kriege in der Region verwickelt?

Haris: Die militärischen Stützpunkte im Land sind NATO-Stützpunkte. Zum Beispiel ist der Hafen von Alexandroupoulis im Norden Griechenlands, direkt an der Grenze zur Türkei, Hauptversorgungslager und Hauptumschlagplatz für den Krieg in der Ukraine.

Jenni: Für Israel hat Griechenland bereits seinen gesamten Luftraum für die Simulation eines Angriffs auf den Iran zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des »Status of Forces Agreement« (SOFA) von 2014 können Israel und Griechenland jeweils eigene Truppen im anderen Land stationieren. Auf Kreta befindet sich ein Radarstützpunkt für Schiffe der Navy, ausgestattet mit einem technisch ausgefeilten UAV-System von unbemannten Drohnen mit einer Reichweite von 600 Kilometern. Es gibt sehr viele Beispiele, die eine Zusammenarbeit belegen.

Wie unterstützt Griechenland Israel derzeit direkt im Krieg gegen Gaza?

Haris: Am einfachsten ist die Unterstützung daran zu zeigen, dass Teile des israelischen Militärs von Griechenland aus mit Treibstoff versorgt werden. Dagegen gab es bereits Protest und Blockaden, die von der Kommunistischen Partei, den Hafenarbeitern und einer Gewerkschaft der Hafenarbeiter organisiert wurden. Bei Elefsina in der Nähe von Piräus haben sie versucht Raffinerieanlagen zu blockieren, mit dem Ziel, Treibstofftransporte nach Israel zu stoppen.

Alexandra: Ein weiterer Aspekt ist die Unterstützung bei Waffenlieferungen an Israel. Die Schiffe kommen meistens von den USA oder von England. Aber die müssen zwischendurch irgendwo anlegen, in Spanien, Italien oder Griechenland. Gemäß dem Entscheid des Internationalen Gerichtshofs müssten die Länder sich weigern. Aber Griechenland lässt zu, dass diese Schiffe in Griechenland anlegen.

Babis: Premier Kyriakos Mitsotakis war auch der erste, der den israelischen Premier Benjamin Natanjahu nach dem internationalen Haftbefehl gegen ihn empfangen hat. Ohne ihn zu behelligen.

Wie steht die Bevölkerung zur Kooperation zwischen Israel und Griechenland?

Jenni: Traditionell gibt es eine große Sympathie für die Sache der Palästinenser in Griechenland. Anhand der Demonstrationen und Aktivitäten kann man festhalten, dass ein Großteil der griechischen Bevölkerung eindeutig zu Gaza steht. Obwohl viele Vereinbarungen mit Israel und auch die ganzen Militärstützpunkte nicht bekannt sind. Da wird versucht Informationsarbeit zu leisten. Z.B. wird regelmäßig erfolgreich gegen Auftritte von israelischen Künstlern protestiert, die sich eindeutig für die israelische Regierung und den Krieg in Gaza positionieren.

Wie ist die Stimmung im Fall des Ukraine-Kriegs?

Haris. Im Fall des Ukrainekrieges wird nicht so intensiv demonstriert. Ein Grund dafür ist die Analyse der meisten linken Organisationen, speziell der Kommunistischen Partei und auch anderer ML-Gruppierungen, die zwar nicht im Parlament vertreten sind, aber schon einigermaßen stark in der Bevölkerung sind. Deren Analyse ist: Es handelt sich um eine innerimperialistische Auseinandersetzung. Wir sind weder für die einen noch die anderen. Die Anti-NATO-Aktion, von der zwei Kollegen am Sonntag in der Maigalerie sprechen werden, betonen den Aspekt: Wir sind in der NATO und wir müssen widerstehen gegen das, was die NATO als Beitrag in diesem Krieg leistet. Die Gruppe macht dazu Veranstaltungen und Demonstrationen. Aber die sind natürlich kein Vergleich mit denen zum Thema Palästina.

Alexandra: Alle Meinungsumfragen in Griechenland sagen, dass ungefähr 57 Prozent gegen den Krieg in der Ukraine sind. Also sie sind gegen den Krieg, aber nicht antirussisch. Die Mehrheit hat die Einstellung, Russland ist einmarschiert in die Ukraine, aber das hat seine Vorgeschichte in den Aggressionen des Westens.

Wie wirkt sich dieser riesige Militärhaushalt im griechischen Alltag aus?

Babis: Die Grundversorgung ist ohnehin schon sehr schlecht. Ob im Gesundheitswesen, im Bildungswesen oder im Nahverkehr. Es gibt keinen Bereich, der in Griechenland nicht marode und unterfinanziert ist. Die Sparmaßnahmen in prinzipiell allen Bereichen der Daseinsfürsorge können zu dem führen, was auch der Slogan der ganzen Bewegung ist: »Eure Gewinne gegen unser Leben«. Ein weiterer Aspekt ist: Der Nationalismus vor allem gegenüber der Türkei wird ganz bewusst hochgespielt. Denn man muss diese ganzen Rüstungsprogramme ja irgendwie legitimieren. Damit hat die Regierung die Agenda der extremen Rechten übernommen. Gleichzeitig ist die Türkei NATO-Partner und tritt als Mittelsmann auch gegenüber Russland und Syrien auf. Das ist natürlich ein Widerspruch. Und man kann das zuspitzen. Es ist so, als wenn die Griechen jetzt das Geld, das sie für diese Rüstungsgeschichten ausgeben, eigentlich den türkischen Waffenproduzenten in die Tasche schieben über den EU-Weg.

Kann man sagen, dass das Zugunglück von Tempi vor zwei Jahren am Ende auch mit dem Militärhaushalt zu tun hatte?

Athina: Es ist schwierig, einen Kausalzusammenhang herzustellen, aber indirekt besteht ein Zusammenhang. Was man sagen kann, ist: Die Privatisierung hat dazu geführt, dass die Situation der Verkehrswege so schlecht ist, dass es dann zu solchen Unglücken kommen kann. Ich kann mich an eine der ersten Demonstrationen nach dem Unglück erinnern. Ich bekam einen kleinen Zettel, der hat es auf den Punkt gebracht: Privatisierung tötet.

Veranstaltungshinweis: »Antimilitarismus in Griechenland«, Sonntag, 13. April 2025, 15:00 Uhr, Eintritt frei: https://www.jungewelt.de/maigalerie/471652.veranstaltungen.html

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Ausland