»Das katapultiert uns zurück in die Suharto-Zeit«
Interview: Mawuena Martens
In Indonesien gehen wieder viele Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Worum geht es bei dieser Protestwelle?
Nurhayati Marga: Am 20. März hat das Parlament eine Reform des Militärgesetzes von 2004 beschlossen. In der Vergangenheit waren Vorstöße, es zu überarbeiten, immer wieder gescheitert. Anfang des Jahres hat die Regierung das aufgegriffen. Man müsse das Gesetz modernisieren und an die aktuellen »Herausforderungen« anpassen, lautete die Begründung. Das ist nur ein Vorwand, um die Bevölkerung stärker zu kontrollieren. Nun ist es ohne großes Aufheben innerhalb eines Monats durchgedrückt worden, im Fastenmonat Ramadan. In den vergangenen Monaten gab es mehrere Protestwellen, gegen Korruption zum Beispiel oder unsoziale Gesetze. Das neue hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Worauf zielt Ihre Hauptkritik an dem Gesetz?
N. M.: Wir kritisieren, dass das Militär viel stärker in zivile Angelegenheiten eingebunden wird. So können Angehörige der Streitkräfte parallel zivile Ämter in 14 staatlichen Einrichtungen bekleiden. Zuvor waren es nur zehn. Militärs dürfen Land kaufen, sich in der Privatwirtschaft engagieren, sie können nun Teil von Infrastruktur- oder sozialen Projekten sein. Dadurch kann die Armee ihren Einfluss bis in jede kleinste Gemeinde und alle Bereiche des zivilen Lebens ausweiten. Man nennt das die Doktrin der Doppelfunktion, »dwifungsi«. Das katapultiert uns zurück in die Zeit von Mohammed Suharto (Militärdiktator von 1967–98, jW).
Ist sich die Bevölkerung dieser Gefahren bewusst?
Sutrisno Bayu: Zuerst sind nur Studenten auf die Straßen gegangen, doch der Protest hat sich ausgeweitet. Immer mehr Bürger protestieren. Es gibt eine große Solidarität mit den Demonstranten.
Konzentrieren sich die Proteste nur auf die Hauptstadt Jakarta?
S. B.: Mittlerweile finden sie in mehr als 40 Städten statt. Einige sind friedlich, einige laut und in Partystimmung mit Musik.
N. M.: Die Proteste finden aber nicht nur auf der Straße statt, sondern auch in den sozialen Netzwerken. Der Aktivismus dort hat dazu beigetragen, dass auch mehr Menschen auf die Straßen gehen.
Wie viele haben an den Protesten teilgenommen?
S. B.: Wir haben zwar keine Zahlen, aber es müssen bereits Tausende gewesen sein. Mediale Berichterstattung findet nicht wirklich statt, weil die Regierung das unterbindet. Deswegen haben wir uns auch entschieden, uns an internationale Medien zu wenden, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie funktioniert die Einschüchterung von Medien und Aktivisten?
N. M.: Anfang März zum Beispiel hat das Wochenmagazin Tempo erst ein Paket mit einem Schweinekopf erhalten, dessen Ohren abgeschnitten waren, anschließend noch einmal sechs geköpfte Ratten. Personenbezogene Daten eines der Journalisten wurden im Internet veröffentlicht, ihre Familie erhielt Drohanrufe. Sprayer, die Graffity zu Palästina gemacht haben, sind durchsucht worden.
Und wie reagiert die Polizei auf die Proteste?
S. B.: Nicht nur Polizei, sondern auch Militär und paramilitärische Einheiten reagieren mit Gewalt. Sie setzen Tränengas ein, einige Demonstranten sind erblindet.
N. M.: Wir sehen schon jetzt, wozu die Reform des Gesetzes führt. Sobald sie vom Parlament verabschiedet worden war, hat die Regierung das Militär gegen Demonstranten eingesetzt. Sie ist nichts anderes als die Legitimationsgrundlage für Gewalt und Repression. Das ist eine Gefahr für die Demokratie. Hinzu kommen die krasse Korruption und die Tatsache, dass es überhaupt keine starke Opposition im Parlament gibt. Jeder wird von Prabowo Subianto kontrolliert. Er ist der Stiefsohn Suhartos und ehemaliger General, der in den 80ern in die Entführung von Dissidenten involviert war, auch wenn das bis heute nicht bewiesen ist und er frei herumläuft – mehr noch, Präsident von Indonesien ist.
Nurhayati Marga und Sutrisno Bayu (Namen geändert) sind Aktivisten und beteiligen sich an den Demonstrationen in Indonesien gegen das dortige Militärgesetz
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