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Aus: Ausgabe vom 23.04.2025, Seite 4 / Inland
Revolutionärer 1. Mai

Vorbereitungen laufen

Berlin: Staatsgewalt und Presse stimmen auf Demonstration am 1. Mai ein. »Geheimpapier« durchgestochen
Von Max Grigutsch
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Die Polizei mag keine Linken; erst recht keine, die sich für Palästina einsetzen (Berlin, 1.5.2024)

Mit den Worten »Es lebe der revolutionäre 1. Mai!« ruft auch in diesem Jahr ein linkes Bündnis in Berlin zu einer Demonstration »zum internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse« auf. Bereits Mitte Februar kündigten die Organisatoren eine Frontstellung »gegen imperialistische Kriege«, »einen besonderen Fokus auf den Genozid in Palästina sowie die sich zuspitzende Situation in Kurdistan« an. Zudem liege der Schwerpunkt auf der »immer stärker werdenden Repression hierzulande« sowie auf »Kämpfen der Jugend und feministischen Kämpfen«.

Vorbereitungen laufen aber auch bei der Staatsgewalt und den angeschlossenen Redaktionen. Die Zeitung Welt will nun »exklusiv« ein »Geheimpapier« eingesehen haben, in dem »polizeiliche Lageeinschätzungen« zum 1. Mai enthalten sein sollen. Inhaltlich fällt die wohl als propagandistische Vorbereitung auf den Maifeiertag zu begreifende »Offenlegung« der »geheimen« Polizeiinformationen eher mager aus. Demnach gehe die Polizei von einem »dynamischen Einsatzgeschehen« und »Störungen durch einzelne Gruppen« aus. Mit »Pyrotechnik, aggressiven Sprechchören, vereinzelten Wurfgeschossen und gezielten Provokationen« sei zu rechnen. Auch »das Abspalten einzelner Gruppen zur Durchführung ›eigener Aktionen‹« sei möglich. Gleichzeitig, so liest man im letzten Satz des Artikels, sehe die Polizei »keine Hinweise auf systematisch geplante militante Aktionen«. Mit der Aufzählung dieser sehr allgemeinen Überlegungen ohne konkrete Anhaltspunkte findet die »exklusive« Berichterstattung ihr Ende.

Die Drohkulisse ist errichtet. Aber in Widersprüchen denkt nicht nur Marx. So sollen »erfahrene«, aber natürlich anonym bleibende »Einsatzleiter« der Welt gesagt haben, das »aktuelle Demonstrationsgeschehen rund um den 1. Mai sei überhaupt kein Vergleich zu den Ausschreitungen der 80er und 90er Jahre«. Die Demonstration 2024 sei »eine der friedlichsten seit Beginn des linksextremen Aufzuges« gewesen. Ferner werden die angemeldete Route, die geplante Blocks und die politische Ausrichtung der diesjährigen Demo angeführt. »Es ist relativ witzig, dass die Welt von einem Geheimpapier spricht und dann nur öffentliche Informationen teilt«, kommentierte Rosa Hikmet, Presseperson des Bündnisses, am Dienstag gegenüber junge Welt.

Dem Welt-Autor zufolge habe die »Revolutionäre 1. Mai«-Demo »in den vergangenen Jahren einen starken Wandel« durchgemacht. »Klassisch linke Themen treten in den Hintergrund und werden von Außenpolitik verdrängt«, erfährt man bei der Lektüre. Einleuchtend ist das nicht. Das findet auch Hikmet: Man frage sich, »was für Springer klassisch linke Themen sind, wenn wir auf unserer Demonstration doch Klassenkampf, Antimilitarismus, Antifaschismus, soziale Gerechtigkeit, Mieten und Verdrängung sowie Feminismus als Schwerpunkte setzen«.

Die von der Welt (und der Polizei) beanstandete »Außenpolitik« dürfte vor allem die als »antisemitisch« bekämpfte Solidarität mit Palästina sein. Auch in den Vorjahren sei es am 1. Mai »wiederholt zu antisemitischen Parolen« gekommen, heißt es. Aber: »Während die derzeit tonangebenden Bündnisse immer wieder durch Antisemitismus auffallen, gibt es innerhalb der Szene Strömungen, die genau das scharf verurteilen.« Gemeint ist etwa der dreitägige »Antifa«-Kongress antikommunistischer »Linker«, der am 1. Mai beginnt. Dass die Springer-Zeitung dem Kongress, mit dem offenkundig versucht werden soll, die Reste der proimperialistischen »antideutschen« Szene zu reanimieren, mit Sympathie begegnet, ist wenig überraschend. Die zeitlich passend angesetzte Konferenz ist schließlich eine Gegenveranstaltung zur »Revolutionären 1. Mai«-Demo. Dessen ungeachtet rechnen die Demoveranstalter auch dieses Jahr wieder mit reger Teilnahme. 2024 haben sich rund 25.000 dem Aufzug angeschlossen, so Hikmet gegenüber jW.

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