»Die Branche müsste auf Profite verzichten«
Interview: Ben Francke
Zement ist ein allgegenwärtiger Baustoff. Warum haben Sie gegen dessen Verwendung vom 4. bis 10. April mit einem Zeltcamp protestiert?
Juliane Schwertner: Der Hauptgrund, warum wir Zement als Baumaterial ablehnen, ist, dass bei der Produktion so viel CO2 freigesetzt wird. Sie treibt die Klimakrise stark an. Ein weiterer Grund ist, dass die Herstellung von Zement vor allem im globalen Süden betrieben wird und dafür oft indigene Menschen aus ihren Orten vertrieben werden. Als Alternativen gibt es nachhaltigere Baustoffe wie Holz oder Lehm. Aber das allein ist nicht die Lösung. Der vorhandene Platz muss effektiver genutzt werden. Ein schönes Zitat, das mir im Gedächtnis geblieben ist, lautet: »Deutschland ist fertig gebaut.« Soll heißen: Wir müssen nicht noch mehr bauen, sondern Wohnraum umverteilen.
Ihr Protestcamp hatten Sie Anfang des Monats in Blickweite der Konzernzentrale von Heidelberg Materials, ehemals Heidelberg Cement, aufgebaut. Was fordern Sie von dem Unternehmen?
Darya Sotoodeh: Wir fordern von Heidelberg Materials, dass sie einen vom Konzern unabhängig erstellten Menschenrechtsbericht vorlegen. Das machen sie seit Jahren nicht, obwohl es im Zusammenhang mit Verantwortlichen des Unternehmens Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen gibt. Wir richten unsere Forderungen aber vor allem an die Politik: Wir wollen langfristig eine Bauwende vorantreiben. Die Art, wie gebaut wird, muss verändert und solidarischer gestaltet werden. Selbstverständlich wird die Branche das nicht freiwillig tun, weil sie dadurch auf Profite verzichten müsste. Deshalb ist die Politik hier in der Pflicht.
Über die Rolle des Konzerns in der Westsahara haben wir berichtet. Was ist Ihnen zum Agieren von Heidelberg Materials in Indonesien, Palästina und Togo bekannt?
J. S.: In Indonesien gibt es starken Widerstand gegen Heidelberg Materials, weil der Konzern dort Zementwerke errichtet und Kalk abbaut. Vor allem die Bevölkerungsgruppe der Samin stellt sich dagegen. Heidelberg Materials plant, Orte zu vereinnahmen, die für sie heilig sind. Es gab beeindruckende Proteste, bei denen Frauen ihre Füße vor der deutschen Botschaft in Klötze einbetoniert haben, um die Verantwortlichen zu konfrontieren.
D. S.: Im Westjordanland liegt der Steinbruch Nahal Raba. Dort ist eine israelische Tochterfirma von Heidelberg Materials tätig. Sie bauen Rohstoffe ab, die aber nicht der dortigen palästinensischen Bevölkerung zugute kommen, sondern für Projekte in Israel genutzt werden, teilweise auch für den Siedlungsbau. Im Grunde ist das völkerrechtswidrig.
In Togo herrscht eine autokratische Regierung, der Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Der Konzern arbeitet seit Jahrzehnten mit dieser Regierung zusammen und hat in Togo mehrere Tochterfirmen.
Hat sich der Konzern für Sie und das Camp interessiert?
J. S.: Ein-, zweimal waren interessierte Mitarbeitende hier. Das Unternehmen ist direkt auf der anderen Straßenseite. Der Konzern hat einen offenen Brief an uns geschrieben. Darin hieß es, sie seien am Austausch interessiert, wollen wegen unserer Proteste und Blockaden nun aber doch nicht mehr. Unsere Gesprächsangebote blieben bereits seit Jahren ohne Reaktion des Konzerns.
Stehen Sie in Kontakt mit Werktätigen in der Zementindustrie?
D. S.: Das ist noch in der Anfangsphase. Uns ist auf jeden Fall klar, wie wichtig es ist, diesen Kontakt zu Beschäftigten aufzubauen. Das hat man bei anderen Kampagnen gesehen. Wir wollen uns direkt an sie wenden, zunächst mit einem Brief. Darin wollen wir klar sagen: Unsere Kritik richtet sich nicht gegen die Leute, die beschäftigt sind, vor allem nicht gegen die, die wirklich von ihrer Lohnarbeit abhängig sind.
Juliane Schwertner und Darya Sotoodeh engagieren sich für den Umweltschutz. Sie haben das Protescamp »End Cement Festival« in Heidelberg mitorganisiert
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