Kiew zum letzten
Von Reinhard Lauterbach
Die Versuche der EU und Großbritanniens, die USA zu mehr Unterstützung für die Ukraine zu drängen, stehen offenbar vor dem Scheitern. Eine für den Mittwoch geplante neue Verhandlungsrunde in London wurde kurzfristig von Minister- auf Beamtenebene herabgestuft. Nachdem US-Außenminister Marco Rubio seine Teilnahme abgesagt hatte, erklärten auch die Außenminister der BRD, Frankreichs und Großbritanniens, zunächst nur auf Beamtenebene weiterverhandeln zu lassen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warf Washington vor, »nicht alle seine Möglichkeiten ausgenutzt« zu haben.
Zuvor hatten britische und US-Medien Details aus dem Friedensplan von US-Präsident Donald Trump veröffentlicht. Demnach sind die USA bereit, die Krim offiziell als russisches Territorium anzuerkennen und die russische Kontrolle über die bisher eroberten Teile der ukrainischen Gebiete Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson faktisch – nicht aber juristisch – zu akzeptieren. Ein NATO-Beitritt der Ukraine soll ausgeschlossen bleiben.
Falls Russland einem Friedensvertrag zu diesen Konditionen zustimmt, bieten die USA demnach die Aufhebung der seit 2014 verhängten Sanktionen an. Für die Ukraine soll es nicht näher spezifizierte Sicherheitsgarantien von dritter Seite, das Recht auf EU-Beitritt und das Recht zur Schiffahrt auf dem Dnipro geben. Außerdem soll Russland die – geringfügigen – Teile des Bezirks Charkiw, die es derzeit kontrolliert, an die Ukraine zurückgeben. In Kiew sollen die veröffentlichten Details »Entsetzen« ausgelöst haben. Ukrainische Vertreter sprachen von einem »Geschenk an Putin«, dem nur schemenhafte Zusagen an die Ukraine gegenüberstünden.
Parallel zum Durchsickern der Details aus dem US-Friedensplan hatte der russische Präsident Wladimir Putin erstmals seine Bereitschaft erkennen lassen, den Krieg entlang der aktuellen Frontlinie einzufrieren und insoweit nicht mehr darauf zu bestehen, die vier strittigen Bezirke der Ukraine vollständig zu übernehmen. Die Nesawissimaja Gaseta aus Moskau hatte bereits am Wochenende in einem Artikel ihres Chefredakteurs Konstantin Remtschukow skizziert, wie sich eine solche Lösung der russischen Öffentlichkeit verkaufen ließe: Die Übernahme der besetzten ukrainischen Regionen in den Staatsverband Russlands sei zwar im Prinzip in der Verfassung geregelt, aber nicht, in welchen territorialen Grenzen. Als Folge wäre es keine offen einzugestehende Niederlage, die Gebiete nicht in ihren ukrainischen – und insoweit sowjetischen – Verwaltungsgrenzen bekommen zu haben. Eine weitere russische Bedingung für einen Waffenstillstand ist inzwischen faktisch erfüllt: die vollständige Rückeroberung des Kursker Gebiets. Nachdem russische Truppen am Sonntag ein orthodoxes Kloster im Grenzdorf Gornal zurückerobert – und es dabei offenbar weitgehend zerstört – hatten, bleibt dort jetzt nur noch ein kleiner Streifen unbewohnten Gebiets unter ukrainischer Kontrolle.
Entlang der Frontlinie setzte Russland seine Angriffe in verschiedenen Abschnitten fort. In der Industriestadt Marganez am Unterlauf des Dnipro kamen am Mittwoch morgen neun Arbeiter eines Industriebetriebs ums Leben, als eine russische Drohne den Werksbus traf, der sie zur Arbeit fuhr. 39 weitere Arbeiter wurden verletzt. In Cherson drohen Stromabschaltungen, nachdem Russland in offenbar ganztägigem Beschuss ein Unternehmen der Energiewirtschaft zerstört hat.
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