Anwalt des globalen Südens
Von Volker Hermsdorf
Mein Volk ist arm, und ich bin einer von ihnen«, sagte der argentinische Erzbischof Jorge Mario Bergoglio nach seiner Wahl zum ersten lateinamerikanischen Papst. Als Franziskus unternahm er seine erste Auslandsreise nur vier Monate später nach Brasilien. In seiner zwölfjährigen Amtszeit besuchte er zehn Länder seines Heimatkontinents, wo ihn jetzt auch frühere Kritiker betrauern.
So ordnete Argentiniens Präsident Javier Milei Staatstrauer an. Vor zwei Jahren hatte er den Papst noch als Vertreter des Bösen auf Erden, Kommunisten und totalen Ignoranten beschimpft, weil Franziskus seinen neoliberalen Kurs mit dem Hinweis kritisierte: »Der Marktgott und die Profitgöttin sind falsche Gottheiten, die uns zu Entmenschlichung führen.« Auch Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega und dessen Vize Rosario Murillo betrauerten den Tod des Papstes, der ihre Regierung 2023 als »rohe Diktatur« bezeichnet hatte, nachdem Priester, Bischöfe und Nonnen verhaftet und ins Exil geschickt worden waren. »Wir bewundern seine Reisen, auf denen er für Frieden warb und für eine Kirche eintrat, die sich der Solidarität und Brüderlichkeit verpflichtet fühlt«, erklärten beide am Montag. Franziskus sei der »progressive Kopf« an der Spitze einer von seinen Vorgängern Johannes Paul II. und Benedikt XVI. geerbten »konservativen Körperschaft« gewesen, beschrieb der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto die komplizierte Position des verstorbenen Papstes in Lateinamerika. Vertreter unterschiedlicher Richtungen erkannten jedoch übereinstimmend an, dass es ihm gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Länder des globalen Südens und deren oft als marginal wahrgenommene Probleme zu lenken.
Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum lobte Franziskus’ Einsatz »für die Armen, den Frieden und die Gleichheit«. Kritikern warf sie vor, ihn abgelehnt zu haben, weil er »progressiv« und »skeptisch gegenüber dem Neoliberalismus« eingestellt sei. Brasiliens Staatsoberhaupt Luiz Inácio Lula da Silva bezeichnete den Papst als die »Stimme des Respekts, der Akzeptanz und der Solidarität«, während Kolumbiens Präsident Gustavo Petro ihn einen »Seelenverwandten« nannte. Offenbar in Anspielung auf die 2020 veröffentlichte Enzyklika »Fratelli tutti«, in der es hieß: »Gerechtigkeit setzt voraus, dass nicht nur die Rechte des einzelnen, sondern auch die sozialen Rechte und die Rechte der Völker anerkannt und respektiert werden«, erklärte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro, der Papst hinterlasse ein Vermächtnis, das »in denen von uns weiterleben wird, die sich für eine Welt der Würde, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit einsetzen«.
In Kuba, das Franziskus zweimal besuchte, hat sein Tod tiefe Betroffenheit ausgelöst. Präsident Miguel Díaz-Canel erinnerte an dessen »herzliche Nähe« zum kubanischen Volk. Außenminister Bruno Rodríguez hob den Einsatz für globale Verständigung und soziale Gerechtigkeit hervor, und Expräsident Raúl Castro würdigte Franziskus’ »unermüdlichen Kampf zur Verteidigung des Friedens und der Brüderlichkeit zwischen den Völkern«. Beim ersten Besuch des argentinischen Papstes hatten sich beide 2015 in Havanna kennengelernt. Angefeindet von US-Politikern und kubanischen Contras, hatte der Gast auch Revolutionsführer Fidel Castro in dessen Haus besucht. »Ich liebe das kubanische Volk sehr und fühle mich ihm sehr nahe«, erklärte der als Brückenbauer zwischen Washington und Havanna geltende Papst später. Unter seiner Führung hatte der Vatikan maßgeblich zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba im Juli 2015 beigetragen.
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