Plackerei in der Pflege
Von Oliver Rast
Immer abrufbar sein, immer dasein. Tagsüber, nachtsüber. In der Pflege, in der Betreuung. Ein Knochenjob. Physisch, psychisch. Beides. Denn wer andere Menschen pflegt, geht oft nicht pfleglich mit sich selbst um. Wie auch?
Für Beschäftigte ist die Situation deshalb oft unzumutbar. Gewerkschaften, Arbeiterkammer, Interessenverbände fordern seit Jahren eine Reform der seit 2007 geltenden Schwerarbeitsverordnung, speziell für Pflegeberufe. Die ist nun in Sicht. Oder doch nicht? Unklar.
Im bereits Ende Februar verabschiedeten Regierungsprogramm der Dreierkoalition aus konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen Neos steht der Passus: »Pflegeberufe sollen künftig als Schwerarbeit eingestuft werden. Damit können Pflegekräfte nach 45 Arbeitsjahren in Pension gehen.«
Gesundheits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger präzisierten die Eckpunkte in einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag in Wien: So können Pflegekräfte künftig mit 60 Jahren in Pension gehen, sofern sie mindestens 45 Versicherungsjahre aufweisen und in den letzten 20 Jahren mindestens zehn Jahre Schwerarbeit verrichtet haben.
Bislang müssten Pflegekräfte über mindestens zehn Jahre hinweg 15 Schichten pro Monat leisten, um einen Anspruch auf Schwerarbeitspension zu erlangen, erklärte die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida – eine der sieben Einzelgewerkschaften im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) – am Dienstag in einer Mitteilung. Angesichts von Zwölf-Stunden-Schichten und komplexen Dienstplänen sei dies für die wenigsten Beschäftigten erreichbar. »Künftig soll die zeitliche Belastung nicht mehr nach Schichten, sondern nach Stunden berechnet werden.« Ferner gelten laut Koalitionären alsbald nicht mehr nur körperliche Mühsal, sondern auch emotionale, mentale und Mehrfachstrapazen.
Nur, zahlreiche Detailfragen seien offen, betonte Oliver Jonischkeit, Sekretär des KPÖ-nahen Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB) im ÖGB-Bundesvorstand, am Mittwoch im jW-Gespräch. Zumal kaum jemand bis zum 60. Geburtstag die nötigen Versicherungsjahre absolviert haben dürfte, um ohne Abschläge von der Schwerarbeitspension zu profitieren, wie Ministerin Schumann behauptet. Insofern sei die vorgestellte novellierte Regelung zu Schwerarbeit »höchstens ein erster Schritt.« Denn vor allem brauche es eine bessere Bezahlung, kürzere Arbeitszeiten – und nicht zuletzt eine gesetzliche Bestimmung, dass Kolleginnen und Kollegen nicht nur in der Pflege, sondern auch in der Betreuung als Schwerarbeitende zählen. Ausnahmslos.
Kritik kommt zudem von der Opposition im Nationalrat, von Grünen und der rechten FPÖ. Die Grünen sehen in der Ankündigung der Regierung eine »Mogelpackung«, wurde Pflegesprecher Ralph Schallmeiner am Dienstag in einer Mitteilung zitiert. Wer mit 17 Jahren eine Pflegeausbildung beginne, könne rein rechnerisch nicht mit 60 Jahren auf die nötigen 45 Versicherungsjahre kommen, um dann abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. »Das verhindern schlicht die Gesetze der Mathematik.« Ähnlich äußerte sich gleichentags die FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. »Reiner Hohn« seien die Koalitionspläne für die Pflegekräfte. »Mit solchen Gesetzesentwürfen wird nur eine Zweiklassengesellschaft unter dem schwerarbeitenden Pflegepersonal geschaffen – solche, die ihre Pension antreten dürfen, und jene, die das nicht können«, so Belakowitsch weiter.
Und nun? Sylvia Gassner, Vorsitzende des Vida-Fachbereichs soziale Dienste: »Entscheidend ist, was letztlich im Gesetz steht.« Damit eine für Pflegekräfte erweiterte Schwerarbeitsverordnung wirken kann, »muss die Bundesregierung rasch konkrete Maßnahmen umsetzen.« Bei der Berechnung der relevanten Versicherungszeiten müssten etwa unterschiedliche Ausbildungsarten berücksichtigt werden, fordert Gassner.
Die Verordnungsnovelle soll ab 1. Januar 2026 in Kraft treten, Einzelheiten dazu werden im Ministerrat, der wöchentlichen Mittwochssitzung der Dreierkoalition, beschlossen. Darauf hoffen Schwerarbeitende; die, die in der Pflege placken müssen.
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